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 DEAD BITE ;; DIE KAPITEL

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Janosch Ullberg
PATIENT #406
Janosch Ullberg

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BeitragThema: Re: DEAD BITE ;; DIE KAPITEL    DEAD BITE ;; DIE KAPITEL  - Seite 2 EmptySo März 15, 2015 8:48 pm

Janosch hatte es geschafft, so glaubte er. Er hatte sie sicheren Griffs mit sich daraus gebracht, weit weit weg von all den Hasen, die sich gegenseitig töteten. Er wollte nicht wissen, was sie dazu verleitete, denn es würde ihn bloß deprimieren, warum so friedvolle Wesen einander umbringen sollten. Wenn dies wirklich ein Traum von ihm war, dann war ihm nicht bewusst wie sein Gehirn darauf kommen wollte, dass kleine Kaninchen mit weißem Fell, sich selbst angriffen um in rotem Blut zu baden. Das weiche Fell hatte so verführerisch gewirkt und doch gleichermaßen so lieblich und seelig. Es hatte weiß gewirkt und weiß war etwas, was sein Traum eindeutig in den Dreck zog. Das weiß verfärbte sich schwarz und das nicht nur vor seinen Augen.

Weiß war eine Farbe die für Reinheit und Weisheit und Liebe und Glück und Bedingungslosigkeit in der Ehrlichkeit stehen sollte. Eine Farbe deren Gewichtung keiner anderen gleich zu setzen war. Eine Farbe die so schwer auf den Schultern ihres Trägers lasten wollte, viel schwerer, als der Frieden dies könnte. Vielleicht fand man den leichten Frieden im eigenen Tod, wenn man dem weißen Licht folgt, wie man sagte, doch Janosch wollte nicht sterben. Er konnte sie nicht alleine lassen und er konnte doch auch Ava nicht alleine lassen. Er konnte sich nicht alleine lassen. Denn wenn er sich hier verlieren würde, wüsste er nicht wo er erneut starten sollte. Konnte er denn einen Neustart überhaupt wagen? Konnte er sich auch nur vorstellen, all das wieder durchzumachen und diesmal alleine durchzustehen? Oder konnte er es wagen daran zu glauben ihr die Stirn zu bieten und seinen Frieden zu suchen, allein gelassen zu werden, allein in seinem Kopf, damit er zu seinen Eltern zurück finden würde? Konnte er jemals zu seiner Mutter zurück um in ihren Armen einzuschlafen? Vielleicht würde er ja überhaupt nicht mehr schlafen, sondern elendig zu Grunde gehen und noch viel grauenvoller sterben, als sie es hier zu tun schienen. Womit hatte all das begonnen? Wo kamen sie her? Was war vor den Kaninchen passiert? Janosch wusste es nicht mehr. Es war ihm entfallen. Es war weg.

Janosch sagte sie sollte weg von den Irrlichtern. Ava sagte, sie fürchte sich nicht. Aber Ava hatte es nicht verstanden, denn Janosch war klug. Vor Irrlichtern fürchtete man sich nicht, vor Irrlichtern hatte man keinen Schrecken. Vor Irrlichtern hatte Ava keine Angst und auch Janosch hatte keine Angst. Irrlichtern vertraute man, denn sie waren geheimnissvoll verheißungsvoll. Sie waren ganz was besonderes und so vertrauenswürdig. Ihnen vertraute man so, wie Ava Janosch vertraute, als sie sich tragen ließ und als sie zu seinen Augen wurde. Er schritt weiter rückwärts, während er ihre Aussagen aufnahm. Da war es wieder. Das Weiß. Es war zurückgekehrt, während vor seinen Augen alles Schwarz und Dunkel wurde. Kein Nebel war mehr zu sehen, kein Kaninchen, aber Ava sah weiß. Er lauschte ihrer schönen sanften Stimme, wie aufgeregt sie sich gab und wie freudig sie schien. Die Leistung wurde mit der Zeit immer rätselhafter, aber es war okay. Es war okay für Janosch ihr Gewicht zu halten und es war okay, dass er sich Mühe gab die Schwäche nie an sich heranzulassen. Er war viel zu lange schwach gewesen. Es war okay, dass Ava sagte sie hätten das Weiß gleich erreicht. Es war okay, dass es weiß war und es war okay, dass er das weiß nicht sah. "Pass auf mit den Irrlichtern!", gab er nur wieder von sich, während er sie fest an sich hielt. Vielleicht war ja gar er selbst das Irrlicht, konnte er es sagen? "Wir sind hier raus und dann können wir weiter. Weiter fort und weiter weg und vielleicht sind wir bald ganz weg. Janosch, wie schön das wäre! Du und ich, alleine, raus. Nur noch ein bisschen, wir sind gleich da!" Bald waren sie also da. Bald war er angekommen, bald musste er sich neue Sorgen oder keine Sorgen mehr machen. Dass sie es sich schön vorstellte mit ihm hier weg zu sein, machte ihm Mut, machte ihn Stolz, machte ihn verlegen. Er stellte es sich genauso vor, schön und friedlich und vielleicht weiß und schwer, aber schön-weiß. "Zehn Schritte, Janosch. Stop! Wir sind da." Er hielt an und stoppte seinen Gang, er stoppte alles. Er hörte für einen kleinen Augenblick sogar auf zu atmen. Er wartete, ohne sich umzudrehen, da er Ava nicht die Sicht nehmen wollte, ganz egal, ob ihn das Dunkel einfangen würde. Er drehte den Kopf leicht und betrachtete sie, er sah sie einfach nur an und dass er es konnte, machte ihn glücklich. Es war hier fast ein Geschenk überhaupt zu sehen. "Sag mir, wann ich weiter gehen soll. Sag mir, was wir machen und ich trage dich. Es ist kein Problem, solange du dich sicher fühlst. Fühlst du dich sicher?", fragte er sie besorgt und ehrlich. Er hoffte, dass sie sich sicher fühlte, denn wer sich sicher war, der hatte keine Angst und wer keine Angst hatte, hatte hier vielleicht bessere Chancen.
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Ava Litchmore
PATIENT #342
Ava Litchmore

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BeitragThema: Re: DEAD BITE ;; DIE KAPITEL    DEAD BITE ;; DIE KAPITEL  - Seite 2 EmptySo März 15, 2015 8:48 pm

[Outtake : Oh nein, das muss jemand von uns mal zeichnen! DEAD BITE ;; DIE KAPITEL  - Seite 2 96337be237b0985208897587570965e3 ]


{  "Pass auf mit den Irrlichtern!", sagte er und Ava verstand nicht. Sie sah nichts außer das gellende Weiß und dieser Tür. Die Tür zum Garten, aus der Kaninchenhölle heraus. Sie wollte dieser Tür entgegenspringen, sie aufreißen, endlich fort, diesen Ort zurücklassen. Sie umklammerte Janosch's Hals ein wenig mehr. Ihr Herz hämmerte gegen ihre Brust.
Wenn Gott eine Tür schließt, öffnet sich eine andere, Ava, hatten ihre Eltern gesagt. Als sie noch an Gott glaubten. Wann hatte Gott ihre eigene Tür geschlossen? Als er erkannte, dass ihn Ava ein gefallener Engel verloren war? Oder als sie das Messer in der Hand hielt, in zitternder Hand, um sie endlich verstummen zu lassen. Jesus schrie, als er starb, und fragte den Himmel, warum Gott ihn verlassen hatte. Avas Eltern weinten und schluchzten die gleichen Wörter in Avas Gesicht, als würden in ihren Augen die Tore zu den Wolken ruhen.

Lag hinter diese Tür die Freiheit in den Wolken? Wo sie doch vergeblich nach Stille und Ruhe in all den anderen Wolken gesucht hatte? "Sag mir, wann ich weiter gehen soll. Sag mir, was wir machen und ich trage dich. Es ist kein Problem, solange du dich sicher fühlst. Fühlst du dich sicher?", fragte Janosch plötzlich und Ava merkte, dass sie sich nicht weiterbewegt hatten. Das Schwarz würde sie einholen, oder? Sie wagte nicht, sich umzudrehen. Was würde  .. oh was wäre, wenn die Schatten sie ergriffen? Janosch musste, ja er konnte nicht anders, als das Schwarz zu beobachten, mit seinem Blick in Schach zu halten.
Ob sie sich sicher fühlte? Hier? In all dem Chaos und all dem Tod? Wie konnte sich ein Mensch nur je in dieser Sorte von Albtraum sicher fühlen? Doch sie nickte. Die Wärme seines Körpers schien sie von all dem zu trennen. Seine Stimme hielt sie wach. Sie fühlte sich sicher, so lange er sprach, sie hielt."Drei Schritte.", sagte sie leise. Er brauchte drei Schritte. Dann waren sie da. Andächtig und sehnsüchtig blickte sie zu der Tür. Sie wusste nicht, was dahinter lag. Hoffte sie doch nur, etwas Schönes würde sie empfangen. Zur Abwechslung. Noch mehr Leid, noch mehr Pein konnten doch so winzige Körper wie sie sie hatten, nicht ertragen. Gefüllt bis zum Schopf waren sie mit dunklen Gedanken und den Götterstreichen ihres eigenen Schicksals. Eine dunkle Hand schob sie zur nächsten dunklen Hand. Tränkte sie in Schwarz und Geschrei. Wann hatte dieser Lauf nur sein Ende?
Vor Irrlichtern sollte sie sich in Acht nehmen? Was war, wenn sie Janosch in das nächste Irrlicht trieb  .. Nein, natürlich nicht! Das war es, das Ende. Das glückliche Ende für sie beide. War es denn nicht genug Strafe, die sie hatten ertragen müssen? Das war es! Das herrliche Ende! Das Happy Ever After. Das "und sie lebten glücklich bis an ihr Lebensende"! Und ohne Glücklich, kein Tod, nicht wahr?

Als Janosch die drei Schritte rückwärts ging, schien die Tür noch an Größe zu wachsen. So hoch, dass Ava selbst von ihrer Position, in den Armen Janoschs, den Kopf in den Nacken legen musste. Sie schilderte ihm, was sie sah. Ava die Augen, Janosch der Körper. Er musste ihr Körper sein, ohne den sie nicht voran käme. Sie müsse sein Licht sein, ohne dass er den Weg nicht fände. Sie hielten sich aufrecht.
Hell war die Tür, imposant. Und wenn sie genau hinsah, konnte sie die Maserung tanzen sahen. Kleine Ornamente boten ihrem Blick ein Theaterstück. Hin und her liefen die kleinen Figuren, die doch fest im Holz hätten sein müssen. Doch sie winkten ihr und schienen zu lachen und wiesen ihr den Weg richtung Griff. Die Blumen aus Holz reckten ihre Köpfe, wiegten im Takt einer unbekannten Melodie und nichts sehnlicher wünschte sich Ava, als sie hören zu können. "Noch einen Schritt.", sagte sie dann, gesättigt vom Märchen vor ihren Augen und löste ihre linke Hand von seinem Hals. "Noch ein bischen!" Sie reckte ihre Finger, haschte nach dem Türgriff. Nach links. Nein, falsch. Nach rechts! Sie drehte den weißen Griff. Oh, welch Fügung! Alles schien weiß zu sein. Die Hoffnung, die Hoffnung war doch weiß, nicht wahr?
Sie zog an der Tür - sie knarrte. Einen Herzschlag lang, stockte ihr Atem. Noch einmal zog sie und die Tür schien dies nicht zu kümmern. Ava zog die Luft scharf ein. Noch einmal griff sie mit all ihrer Kraft danach. "Janosch, sie kle-" Wie? Sie atmete tief ein, doch nichts gelang in ihre Lunge. Sie öffnete den Mund, doch die Worte, die sie hatte rufen wollen, verklangen im dumpfen Ersticken. Sie ließ von der Tür ab, hielt sich an Janosch's Hals und blickte in seine Augen. Kein Wort. Wo war die Luft. So schwer. Ihre Lunge war so schwer. Sie sah, wie Janosch's Körper zu beben begann. Die Kraft wich. Er konnte sie nicht länger - Ava's Arme fielen ab, sie sah, wie Janosch's Knie einknickten. Das Schwarz hatte nach ihrem Körper gegriffen. Beide herab. Der Blick zu Tür, verriet das Geheimnis dahinter. Sie öffnete sich langsam. Das sind  .. Bevor sich ihre Augen schlossen, blickte sie in ihre eigenen weit geöffneten, vor Schock erstarrt. Neben ihr, neben der anderen, sah sie Janosch stehen. Nicht ihren Janosch. Nein, das war nicht ihr Janosch. Es war ihrer. Das ist unser Platz, dachte Ava. Bevor alles vor ihren Augen zusammenbrach und sie nach der Hand ihres Janoschs haschte.
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Janosch Ullberg
PATIENT #406
Janosch Ullberg

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BeitragThema: Re: DEAD BITE ;; DIE KAPITEL    DEAD BITE ;; DIE KAPITEL  - Seite 2 EmptyFr Jan 08, 2016 6:33 pm

Sie hatten es erreicht. Er wusste nicht genau was sie erreicht hatten, aber Ava streckte den Arm über seine Schulter aus und ruckelte an etwas. Es schien eine Türe zu sein und damit hatten sie doch alles erreicht was sie wollten. Einen Ausgang. Oder einen Eingang. Egal. Hiermit wäre alles wieder gut. Sie war sich so sicher, das spürte er, ein Stück der Anspannung hatte nachgelassen, jetzt konnte auch er sich wieder beruhigen. Noch immer blickte er zu dem Schwarz, doch es schien gar nicht mehr so nahe, auch wenn es um ihn herum zu schwirren schien. Er erinnerte sich an seine Gedanken von heute früh - oder war es immer noch Morgen? Oder war es Mittag gewesen? Es musste Mittag gewesen sein, er hatte doch den Kartoffelbrei probiert. Ja so musste es gewesen sein. "Nicht einmal der der tot sein wollte war tot" schoss es ihm durch den Kopf. Nicht einmal der. Nicht einmal irgendwer. Auch Janosch und Ava nicht. Niemand war tot. Es war alles gut. Es war gut. Er war so erleichtert, dass ihm eine unsichtbare Last von den Schultern zu fallen schien.

Doch es war nicht nur die Last, es war auch seine Kraft. Wie als ob es einfach ein Fehler der Natur war, fiel mit seinem Lächeln die Kraft aus seinen Beinen, wie in Zeitlupe brach Janosch auf die Knie. Sie scheuerten am Grund den er nicht sehen konnte auf und schroffen über den Boden, eine Wunde erzeugend. Die Last fiel tiefer und schließlich in seinen Schoss, aber nicht nur die. Auch Ava fiel in seinen Schoss, sie sank viel zu schnell, stoppte auf seinen Beinen, riss die Wunden größer und brachte Janosch dazu in ihre Augen zu blicken. Sie klammerte sich an seinen Hals als würde sie ihm die Luft rauben müssen um fort zu kommen. Tat sie das? Und wenn. Sie hatte bestimmt einen Grund. Einen Grund. Er öffnete den Mund um sich zu entschuldigen sie fallen gelassen zu haben - so unwichtig war alles um ihn herum geworden. Nur Ava war wichtig, dass sie sich nicht verletzte. Dass sie nicht die Luft verlor die sie ihm raubte. Doch ihre Augen, weit geöffnet, blickten nicht zu ihm, nicht nur. Sie blickten hinter ihn und was sie dort zu sehen schien schien schrecklich zu sein. Sie griff danach, als wollte sie etwas berichtigen und auch Janosch drehte sich um. Doch er sah nichts, niemanden. Er sah nichts. Er sah eine offene Türe und einen weißen Nebel, der sich langsam lichtete - er sah. Er sah sich. Und er sah Kamille. Und Kamille sprang vor, stürzte sich auf seinen Hals und stach ihre Finger hinein, seine Luft raubend. Hatte er gerade noch Ava gesehen schienen seine Hände plötzlich befremdlich leer zu sein und dennoch zu schwer um sie zu heben. Er konnte nichts tun und er konnte nicht zu Ava sehen. Er konnte nicht sehen wo sie war, er konnte nicht sehen wo er war, er konnte nicht sehen wo hin es ging. Sein Hals fühlte sich taub an, während Kamille mit einer Finsternis im Blick über seinem Gesicht zum halten kam. Sie blickte ihm mit offenen Augen ins Gesicht und berührte mit ihrer Nase seine Nase. "Du bist mir fremd." Sagte sie mit einem Blick der sich anfühlte als stachen ihre über seinen Rücken streichelnden Hände selbigen auf und brachen ihm die Rippen. "Mein Janosch würde mir nicht fremdgehen." , murmelte sie weiter und ebbte in der Finsternis nach. Ihr Gesicht schien sich zu bereinigen und sie half ihm auf die Füße. Sie legte eine Hand auf seine Brust, direkt über sein Herz und schien es damit in Krallen zu halten als könne sie es jeden Moment zerbersten lassen. "Lass mich das bereinigen...Janosch mein -" Das Gesicht zu einem freundlichen Lächeln verzogen riss ihre Stimme ab und ebenso überrascht wie Janosch darüber riss sie den Mund auf um es erneut zu versuchen. Sie brachte keinen Ton heraus und riss den Mund immer weiter auf ehe es zu Donnern schien und die Welt über Janosch herein brach. Eine Schwere fiel auf seinen Körper die ihn sofort zu Boden riss und flacher und flacher werden ließ. Bis er nicht mehr da war.



"AAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAH AAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAH AAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAH AAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAH!"
Janosch stand mitten im Flur der Psychiatrie, seine Kleidung tragend, kein bisschen mehr nass zu sein scheinend. Er stand dort, zuckend, ruckend, auf die Knie fallend, die Hände an den Kopf pressend, die Augen verkrampft geschlossen, die Adern gereizt auf der Haut abgelichtet. Und er schrie.
Er schrie.
Nicht wie in Schmerz. Nicht wie vor Angst. Er schrie, als würde er sterben, wenn der Ton verebbte. Aber nicht wegen des Todes, vor dem er sich eben noch so gefürchtet hatte. Er schrie weil sein Kopf zu platzen drohte, er schrie weil sein Kopf drohte abzufallen und wegzurollen, einen schreienden Körper zurücklassend. Er schrie, weil er alleine war. Sie war nicht mehr da. Es war niemand mehr da. Kamille war fort und sein Kopf schien damit einfach ... tot zu sein.
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Ava Litchmore
PATIENT #342
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BeitragThema: Re: DEAD BITE ;; DIE KAPITEL    DEAD BITE ;; DIE KAPITEL  - Seite 2 EmptyDi Apr 21, 2020 6:37 pm

Ihr Kopf schmerzte. Das Wummern und Drücken schien ihren Schädel zerbersten sehen zu wollen, das Pfeifen wollte das Blut aus ihren Ohren fließen spüren. Ihr Körper war plötzlich so schmerzlich anwesend. Sie war da. Sie war da und wusste nicht, ob das eine gute Sache war. Ihr Körper schien sie immerhin fort haben zu wollen. Ava streckte ihre Hand aus und tastete .. sie wollte ihren Halt zurückhaben. Sie wollte ihren einzigen verdammten Halt in dieser Welt zurückhaben, aber sie spürte nichts. Ihre Finger schlossen sich um Luft, um den Stoff, auf dem sie lag. Ihr Halt war weg, verpufft, hatte sich verzogen, hatte sie wieder als Einzige zurückgelassen. Sie wurde immer zurückgelassen. Von ihren Eltern, von ihrem Vater. Sie spürte heiße Tränen auf ihrer Wange. Sie hinterließen brennende Furchen in ihrer Haut, Wunden, Narben. Das Gift lief ihr das Gesicht herunter und Ava schluckte. Vermutlich hatte sie auch ihre Stimme heruntergeschluckt, denn auch die hatte sie zurückgelassen.
Wo war sie? Sie öffnete ihre schweren Lider, blinzelte in das grelle Licht der Deckenlampe. Ahja. Hier. Sie drehte ihren Kopf, sah die kahlen Wände ihres Zimmers. Die Tür hatte sie nicht hierher gebracht. Nicht hierher. Warum sollten die schönen Muster und die tanzenden Blumen sie um alles in der Welt hierhergeführt haben? Das war nicht das Weiß, das sie wollte. Dieses Weiß hier war kalt, unnachgiebig. Der ganze Weg .. umsonst. Ihr Herz schnürte sich zu, wurde immer kleiner und kleiner, bis sie es nicht mehr spüren konnte. Sie schloss die Augen, stöhnte.
Sie stand auf, langsam, viel zu langsam. Ava stand vor ihrem Bett und wusste nicht so recht, was passiert war. Die Bilder schwirrten ihr noch im Kopf, sie konnte das Wasser noch in der Lunge spüren, den lebenden Boden unter ihren Zehen kitzelte noch. Ihre Hand griff dorthin, wo eigentlich ihr Herz sein sollte. Hatte es aufgehört zu schlagen? Sie konnte es nicht spüren, vielleicht war es so klein, dass es gar nicht mehr dort war. Ihr Blick glitt an ihr herunter. Weißes T-Shirt, schwarze Hose. Dann glitt ihr Blick zu der geöffneten Tür. Der ganze Weg war umsonst gewesen. Aber stehenbleiben war genauso umsonst. Sie hielt ihre Hand noch an ihre Brust gedrückt. Ihr Halt war weg und irgendwie .. die Erinnerungen verblassten langsam. Was war ihr Halt überhaupt gewesen? Sie hatte sich festgehalten, das war klar. Aus Angst. Sie hatte sich um ihr Leben festgekrallt, aber jetzt war nichts mehr da, was sie hätte halten können.
Sie wischte sich die Tränen vom Gesicht und straffte die Schultern. Diese Hölle würde sie schon einholen. Nicht jetzt, aber vielleicht später. Und sie wollte weg sein, bevor das passierte.

Ihre nackten Füße patschten über den Flur, sie strich mit den Fingerkuppen über die Wand. Sie musste sich einen neuen Weg suchen. Sie wusste nicht wohin, aber sie musste sich ganz dringend einen neuen Weg suchen und ihm nachgehen. Ihren Halt wiederfinden. Ja! Sie durfte nicht mehr alleine sein. Wenn sie alleine war, passierte immer etwas Schlimmes. Nicht, dass ihr zusammen nicht etwas Schlimmes passieren würde, das tat es auf jeden Fall, aber zusammen war das Schlimme erträglicher. Zwei Schreie klangen weniger einsam als einer. Schreie? Wie eine Schar von Schlangen kroch ein Schrei auf dem Boden zu ihr, schlängelte sich um ihre Waden und zog sie weiter vor. Nicht schon wieder. Das ist .. nicht echt. Sie wurde langsam verrückt. Schreie konnten keine Schlangen sein. Schreie hatten nicht diese niedlichen Köpfe und diese schmalen Zungen, die hin und her peitschten. Und Schreie konnten auf keinen Fall Ava fortbewegen. Ich war nicht verrückt, als ich angekommen bin, sagte sie sich. Ich bin gesund. Ich bin .. nur schlecht. Ich bin ein schlechter Mensch. Ich habe Angst und Wut und ich gehe meiner Wut nach. Aber ich sehe keine Schlangen, wo keine sind. Je länger sie hier war, desto verrückter wurde sie. Ava schüttelte den Kopf. "Nein", sagte sie und stampfte mit den Füßen auf. Die Schlangen fielen ab und zischten sie an, ihre Augen leuchteten orange. "Ihr seid Schreie. Verhaltet euch auch so!", sagte sie wütend werdend und die Schlangen öffneten ihre zahnlosen Münder. Sie schrien. Nein, er schrie. Ava sah auf und rannte los. Die Schlangen folgten ihr, schrien weiter, so wie sie es sollten und wurden immer lauter.

Ava hielt an. Die Schlangen krochen zu einem am Boden kauernden Menschen. Sie schlüpften zwischen seine Arme zu seinem Kopf und waren plötzlich nur noch der lang gezogene Schrei, der Ava in den Ohren klingelte. Ava spürte, wie ihre Wangen brannten. Das Gift floss seicht an ihrem Gesicht herab. Sie ging vorsichtig auf Janosch zu, legte ihren Kopf schief. Sie kam immer näher. Die Bilder kamen im selben Tempo zurück. Und dann alle auf einmal und das Letzte war, wie sie aus Janoschs Armen fiel. Sie war nicht lange gefallen, eigentlich war sie direkt aufgekommen, hatte sich alle Gedanken gebrochen.
Sie verzog ihr Gesicht schmerzhaft. Der Schrei tat ihr weh. Er war so laut und durchdringend und ließ ihre Knochen zittern. Wie schaffte es dieser dünne Körper so viele Schlangen und so viel Schmerz in einem Schrei zu verbinden? Sie ließ sich neben ihn auf den Boden fallen und zog seine Arme von seinem Kopf. Sie hasste es, Menschen zu berühren. Menschen hatten sie jahrelang berührt und ihr wehgetan. Sie hasste es mehr als dieses laute Schreien. Aber nicht bei ihm. Sie hatte wieder ihren Halt zwischen den Fingern und zog seine Arme von seinem Kopf fort, zwang sein Gesicht nach oben zu blicken. Sie musterte ihn. Seine Augen sprachen Bände, aber Ava konnte die Sprache nicht entziffern. "Du bist noch da", stellte sie fest und schluckte. Sie hatte versucht gegen seinen Schrei anzuschreien, aber ihre Stimme brannte, als sie ihren Mund verließ. "Ich dachte, dich gibt es gar nicht. Der Weg  .. " Sie konnte nicht glauben, was sie da sagte. Die Bilder, die sich in ihrem Kopf zu einer Odyssee ohne Ziel zusammensponnen, konnten nicht echt gewesen sein. Er würde sie für verrückt halten. Vermutlich hatte sie das alles geträumt und machte ihm nur noch mehr Angst. Er hatte doch Angst, oder? Und die Menschen schienen vor ihr zurückzuweichen .. warum sollte sie ihm keine Angst machen? "War das echt?", fragte sie dann und bebte. Sie wusste nicht, was ihr lieber war. Die Realität gesehen zu haben und erkannt zu haben, dass die Hölle ihre Realität war, oder ihren Verstand langsam zu verlieren und immer weniger Mensch zu sein und immer mehr Wahnsinn.
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Janosch Ullberg
PATIENT #406
Janosch Ullberg

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BeitragThema: Re: DEAD BITE ;; DIE KAPITEL    DEAD BITE ;; DIE KAPITEL  - Seite 2 EmptyDi Apr 21, 2020 8:53 pm

Er wusste damit nicht umzugehen. Er konnte sich nicht ausmalen, wie es sein würde, wenn Kamille nicht mehr da sein würde. Immerhin war sie da, seit er denken konnte. Hatte er überhaupt je ohne sie denken können? Je ohne sie einen Gedanken gefasst? Aber sie hatte gesagt, dass er nicht mehr derselbe wäre und sie ihn zurückholen würde. Wer also hatte Kamille gestohlen, davon abgehalten sich zu holen was sie wollte? Janosch zu holen? Den Janosch, den sie kannte, wie sie meinte. Aber welchen Janosch kannte Kamille überhaupt? Wenn sie immer bei ihm gewesen wäre, und immer seine Gedanken geformt hätte, dann hätte sie doch selbst gedacht und Janosch wäre nur ihre Hülle, um ihre Gedanken auch denken zu können. Was blieb, wenn sie also nicht mehr war? Das Fehlen in seinem Kopf brachte eine unausweichliche Stille zustande, dessen Dröhnen so unwirklich und gleichermaßen so schwer auf ihm lastete. Wie konnte er die Stille nur vertreiben, wenn er doch nicht wusste wie er eigene Gedanken zu Stande brachte. Es blieb ihm nichts anderes, als zu schreien, und er hörte nicht auf. Er kauerte am Boden, die Hände in den Haaren gefahren.

An seinen Beinen kratzte ihn eine graue Jogginghose, über seinen dürren Schultern hing ein weißes T-Shirt und an seinen Füßen trug er lediglich ein paar ältere Socken, denen all die Schritte, die er darin getätigt haben musste, anzusehen waren. Sein Gesicht schmerzverzerrt und den Mund noch immer zum Schrei geöffnet, kniff er die Augen fest zusammen. Er wollte nichts sehen, wenn in seinem Kopf schon Nichts mehr war. Es tat weh von Kamille getrennt zu sein. Er konnte sich nicht einmal mehr vorstellen, warum er einst so dringend von ihr fortgewollt hatte. War sie doch ein Teil von ihm und warum stieß man ein Teil von sich selbst fort? Noch dazu, wenn es einen wiederholen wollte. Was hatte sie daran gehindert? Was war überhaupt passiert? Was war so fürchterlich und zugleich derart mächtig, dass es Kamille von ihm reißen konnte? Erschrocken fuhr er zusammen und öffnete ruckartig die Augenlider als er spürte, wie jemand seine Hände von seinem Kopf nahm. Es war eine Welle der Zärtlichkeit, die durch ihn drang und ein Gefühl der Sicherheit, dass für einen Moment seinen unendlichen Schmerz überdeckte, als ihn sanft, aber bestimmt Finger dazu zwangen in das Gesicht zu schauen. Völlig irritiert starrte er in ihre Augen. Ganz bestimmt, das war ein Mädchen. Aber es war ganz und völlig und gar bestimmt nicht Kamille. Aber wer dann? Er kannte niemanden außer Kamille und außer den Pflegern fasste ihn auch niemand außer Kamille an. Schon gar nicht so. Nicht so...vorsichtig. Nicht so nett.

Aufmerksam beobachtete er sein Gegenüber und als wäre es eine Nebensächlichkeit legte sich nach und nach auch sein Schreien, ehe es nur noch ein schweres Atmen war, dass seinem noch immer schockierten Mund entwich. Ein und Aus, und zwischendrin abgelenkt von dem Mädchen vor ihm. Von der Nicht-Kamille. Ein sanftes, wenn auch etwas unbekanntes „Du bist noch da“ schwang ihm entgegen und füllte endlich die Stille in seinen Ohren. Und auch das Scharren und Schnaufen der Zuschauer um sie herum füllte langsam die Stille. Verzaubert beobachtete er sie. „Ich dachte, dich gibt es gar nicht“ setzte sie fort und Janosch ließ seine Hände vollends sinken und schloss den Mund. Noch hatte er keine Antworten für sie, war viel zu verwirrt um einzuschätzen, was gerade geschehen war, aber das war auch gar nicht wichtig. Wichtig war nur, dass sie weitersprach. Es war wichtig, dass sie weitersprach - sehr wichtig. „War das echt?“, fragte sie schließlich und sie erkannte all seine Fragen auch in ihren Augen wieder. In ihren hübschen Augen! Er verlor sich völlig, starrte viel zu offensiv und viel zu direkt und viel zu lange ohne zu antworten in ihre hübschen Augen und vergaß fast Kamille darüber... Ehe er stammelte und sich fast an den eigenen Worten verschluckte, so sehr hatten seine Schreie seine Kehle überfordert. „Ich weiß es nicht.“, sagte er schließlich, als seine Worte wieder Sinn ergaben. Doch just in diesem Moment wurde er auf seine Füße gezogen und unter den Armbeugen gepackt und nach hinten gezogen. Er wusste zwar noch immer nicht wie ihm geschah und er wollte sich dagegen wehren, aber er spürte, dass es wichtiger war, ihr zu antworten so gut er konnte. Deswegen ließ er sich mit sich ziehen, rief aber so laut er konnte zu ihr herüber. „Aber es war da!“, wiederholte er immer und immer wieder. „Es war da!“, immer und immer wieder. Damit sie es auch ja verstand. Vielleicht sah er sie nicht wieder, aber er spürte, dass sie etwas Wichtiges geteilt hatten. Auch wenn er sich nicht ganz erinnern konnte, was genau so wichtig war. Und er hoffte, dass auch sie sich weiter daran erinnern würde. Er musste sie wiedersehen, komme was wolle. Aber da war auch noch Kamille um die er sich sorgen musste...
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Ava Litchmore
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BeitragThema: Re: DEAD BITE ;; DIE KAPITEL    DEAD BITE ;; DIE KAPITEL  - Seite 2 EmptyDi Apr 21, 2020 9:39 pm

Er erkannte sie nicht. Ava sah in seine Augen und seine Augen sahen zurück und sie konnte das Nichterkennen fast schon spüren. Er wusste nicht mehr, wer sie war. Sie wünschte sich mit einem Mal das Schreien zurück. Die Schlangen und das Schreien. Aber damit konnte sie nicht umgehen. Wenn er sich nicht erinnerte, war es vielleicht wirklich nicht echt. Vielleicht war das wirklich alles nur in ihrem Kopf und er hatte dort Platz gefunden. Und war jetzt wieder herausgesprungen und hatte ihren Kopf vergessen.  Sie schluckte, strich ihm zärtlich die Haare aus dem Gesicht. Es gab keinen Zweifel. Er war da gewesen. Er hatte ihre Hand gehalten, er hatte sie gehalten. Aber er erinnerte sich nicht. Sie wünschte sich so sehr das Schreien zurück – das kannte sie. Seine Augen musterten ihr Gesicht und sie konnte seine Fragezeichen lesen, als würden sie hinuntersegeln auf sie und ihr bei jeder Berührung einen Stich verpassen.
„Du weißt es nicht?“, fragte sie und ihre Stimme klingelte in ihren eigenen Ohren. Sie nahm seine Hand in ihre. Nein, sie konnte sich nicht irren. Hier war ihr Halt. Aber ihr Halt hatte sie ebenfalls verlassen. Sie alle verließen sie irgendwann früher oder später. Aber so früh .. Sie versuchte, die Tränen zu unterdrücken. „Du musst dich erinnern, bitte“, flüsterte sie leise. Hinter sich konnte sie die Gestalten spüren. Mehr Nummern standen im Flur und beobachteten die Szene. Aus ihren dunklen Augen starrten sie sie an und Ava wollte ihn vor diesen Blicken beschützen. Ava wollte nicht von Verrückten begafft werden. Sie war keine von Ihnen. Er war es auch nicht. Die Bilder waren echt. Ihr Erleben war echt. Selbst die Schlangen waren es, irgendwie. Sie wollte, dass sie verschwanden.
Mit einem Mal wurde ihr die Hand entrissen. Janosch dazu. Ava sah erschrocken auf. Sie hatte die Schatten nicht auf sich zukommen sehen. Aber sie hatten Janosch und sie zogen ihn von ihr fort. Alle verlassen sie sie und nahmen ihr ihren Halt. Jedes Mal aufs Neue. „Janosch! Es war da!“, rief sie im hinterher. Sie schrie viel eher, sie ballte die Fäuste und merkte, wie sie jemand an ihrem Arm berührte, zupackte. Sie knurrte. „Erinnere dich an mich! A-V-A“, buchstabierte sie, wie sie es in der Gummizelle getan hatte. Auch er rief ihr immer wieder dasselbe zu. Es schien ihm wichtig zu sein, dass sie es hörte. Sie versuchte, in seine Richtung zu laufen, wurde aber in die andere gezogen und mit einem Mal angehoben. Sie trat um sich, boxte auf den Körper, der sie so einfach über ihre Schulter geworfen hatte und davonspazierte. Sie sah zu, wie ihr einziger Halt von ihr fortgetragen wurde und sie von ihm.

„Lass mich los, du stinkender Kastenhintern! Ich schneide dir die Kehle durch und kotze rein!“,
schrie sie und trommelte wie wild auf den Rücken des Wärters. Sie strampelte und schrie und biss. Niemand durfte sie berühren. Kein Mann durfte je wieder seine Hände auf ihren Körper legen, ohne es zu überleben. Sie spürte die Tränen heruntersegeln. Sie sprangen von ihren Augen auf den Boden und sie konnte das leise Platschen hören, als wäre es das lauteste Geräusch der Welt. Sie musste zu Janosch. Er musste sich erinnern. Er musste ihr sagen, dass sie nicht verrückt war. Dass er das auch alles gesehen hatte. Dass er das Wasser in der Lunge gespürt hatte, die Kaninchen, die Tür, das Schwarz.
Der Wärter ließ sie fallen. Er beugte sich zu der am Boden sitzenden Ava und erklärte ihr die Regeln. Sie hörte nicht zu. Aus seinem Mund fielen leere Wörter und sie weigerte sich, sie aufzuheben. Sie kickte seine Sätze mit den nackten Fußsohlen von sich fort und spuckte vor seine Schuhe.
Er ließ sie zurück. Sie blieb zurück. Sie zog ihre Beine an die Brust und umklammerte sie mit den Armen. Sie konnte seine Hände noch auf sich spüren. Ihre Haut brannte und sie schloss die Augen. Es tat so weh, berührt zu werden. Es tat so weh, hier zu sein. Er hatte sie in den Time-Out gebracht und die anderen Patienten in dem langweilig grauen Raum, starrten sie an. Sie konnte es spüren und sie wollte sie nicht sehen. Sie legte die Stirn auf ihre Knie ab und versuchte zu atmen. War ihr Herz noch da? Vielleicht hatte sie es auf dem Weg hierher verloren, es einfach rausgeschrien. Sie konnte es zumindest nicht schlagen hören. Nur in ihren Ohren rauschte es noch.
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Janosch Ullberg
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Janosch Ullberg

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BeitragThema: Re: DEAD BITE ;; DIE KAPITEL    DEAD BITE ;; DIE KAPITEL  - Seite 2 EmptyMi Apr 22, 2020 6:41 pm

Als er sie aus den Augen verlor verstummte er langsam. Er wusste, dass es wie immer keinen Sinn machte sich zu wehren. Und überhaupt. Er wehrte sich so selten. Irgendwie war es schon immer gewesen, als wäre er zu schwach sich gegen überhaupt etwas zu wehren, geschweige denn gegen Männer die gefühlt den ganzen Tag nichts anderes machten, als Leute wegzuzerren, hinter sich her zu ziehen bis man an irgendeinem Ort angekommen war, an dem sie einen wieder loswerden konnten. Diesmal schien geholfen zu haben, dass er frühzeitig aufgehört hatte zu schreien. Oder aber, dass das Mädchen ihn frühzeitig dazu gebracht hatte aufzuhören. Wie auch immer sie das geschafft hatte. Vielleicht bloß durch ihre Berührungen. Immerhin wurde er so selten berührt, und so selten empfand er es nicht als reines Ärgernis oder Bedrängnis seines Selbst. Aber ihre sanften Berührungen, wie sie die Hände aus seinen Haaren geleitet hatte und seinen Blick gekonnt auf sich gezogen hatte. Sie hatte entsetzt gewirkt. Und traurig. So unendlich traurig. Dabei wusste er nicht, was genau er falsch gemacht hatte. Oder ob er sie einfach mit all seiner Selbst traurig gestimmt hatte - denn das passierte ja öfter. Für Kamilles Launen war er immerhin auch immer verantwortlich. Aber sie machte er oft wütend. Oder aber er enttäuschte sie. Ja, enttäuschen konnte er wirklich gut. Und jetzt konnte er wohl auch noch das Mädchen besonders gut enttäuschen. Seine Talente waren wirklich nicht nennenswert.

Ebenso war es aber sein Talent sich einfach ziehen zu lassen, die Fersen zu heben, wenn sie ihn über etwas ziehen wollten, dass hätte weh tun können. Beinahe wäre seine Socke herab gerutscht, immerhin trug er keine Schuhe. Da hatte er die Zehen verkrampft, um den Stoff auf jedenfall zu halten. Er hatte sich so fest darauf konzentriert, dass ihm gar nicht aufgefallen war, wie sie angekommen waren. Wie die Anderen entschieden hatten anzukommen. Er wurde durch die Türöffnung gezerrt, dann fallengelassen, dann landete er unsanft auf dem Po, dann fielen seine Hände unschlüssig zu Boden, dann schritten die weißen Schuhe an ihm vorbei, durch die Türe, dann schlugen sie ihm die Einsamkeit entgegen. Es knallte mindestens so laut, wie sein Kopf das Dröhnen hervorgerufen hatte, als die Scharniere ins Schloss fielen und mit einem schweren Schlüsselbund von außen abgeschlossen wurde. Er hasste diese Türen. Oder hatte bloß Kamille sie gehasst und er hasste aus Gewohnheit?

Kamille...Er sah ihr Gesicht ganz deutlich vor sich, ihre verzerrten Züge, ihr Wille und ihre Entschlossenheit, ehe es in Entsetzen umgeschlagen war, als die Stille sie eingefangen hatte. Und dann war da das Mädchen. Das sah er auch. Aber anders, weil sie echt war. Er hätte nie für möglich gehalten einmal Menschen vor sich zu sehen, die auch andere sehen konnten. Denn eigentlich war er immer mit Kamille beschäftigt. Und das reichte. Das war viel. Viel. Und dann wieder auch nicht. Allein zu sein war auch viel. Aber gerade jetzt fühlte er sich nicht allein. Auch wenn er es doch so offensichtlich war, wo nicht einmal Kamille zu ihm konnte. Aber Kamille hatte ihn auch noch nie so berührt. Und Kamille hatte ihn auch noch nie so vom Schreien abgehalten. Und Kamille hatte noch nie so flehentlich und bestimmt gerufen. Aber was noch gleich? A. Hatte sie buchstabiert. A und dann V und dann wieder A. Anlauf, Vernunft, Ankunft. Vielleicht. Wie klang A-V-A? Irritiert fuhr er sich mit den Fingerkuppen über die Lippen und öffnete unschlüssig den Mund. Ob es in Ordnung war, zu versuchen ihren Namen auszusprechen? Denn das war es, nicht wahr? Das war ihr Name. Aber was, wenn man ihn hörte? Erschöpft schob sich mit Händen und Füßen über den Boden zu seinem Bett herüber. Es war nicht gemütlich und es war nicht toll. Aber manchmal konnte er sagen, dass es Seins war. Und dann legte er die Lippen an den harten Stoffbezug der Matratze und formte wie in einer Trockenübung die Buchstaben, ehe er so leise wie er konnte wirklich sprach. Immer und immer wieder, als wäre es sein neues Mantra. Und irgendwo war es das auch.
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Ava Litchmore
PATIENT #342
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BeitragThema: Re: DEAD BITE ;; DIE KAPITEL    DEAD BITE ;; DIE KAPITEL  - Seite 2 EmptyMi Apr 22, 2020 10:07 pm

Ava bebte. Sie saß als kleines Ava-Päckchen auf dem Boden des Time-Outs und hielt sich umklammert. Sie hatte nicht einmal etwas verbrochen. Und trotzdem hat er sie fortgeschafft. Einfach fortgeschafft und verlassen. Sie hatte nicht geschrien, sie hatte nicht gekämpft - nun, sie hatte erst gebissen und gekratzt, als sie berührt wurde. Aber er hatte es verdient. Wie sie alle es verdient hatten. Er hatte sie fortgebracht und sie von ihrem einzigen Halt entrissen. Sie hatte ihn gerade wieder, hatte ihn endlich wieder an ihren Fingern spüren können und dann war er weg. Vermutlich bebte sie vor Wut, aber so genau konnte sie das nicht sagen. Denn Wut und Angst lagen sehr nah bei einander im Herzen. Und eigentlich konnte sie das ohnehin nicht unterscheiden. Letzten Endes musste sie das auch nicht. Wut und Angst führten immer dazu, dass sie jemandem wehtat. Sie blickte auf und sah sich um. Ihre Zähne knirschten. Zwei andere waren mit ihr hier. Dann ließ sie den Kopf wieder sinken. Sie wollte niemandem wehtun. Sie wollte nur hier fort und diesen verdammten Weg finden. Sie waren so kurz davor gewesen. Sie hatte es spüren können. Und sie würde ihn mitnehmen. Sie würde ihn finden müssen. Er sah so verloren aus. So allein. Sein Blick war so unglaublich müde. Sie musste ihn hier fortbringen. Bevor er noch verrückt würde. Und er war es ja schon. Er konnte sich nicht einmal an sie erinnern. Und wie sollte man das hier nicht? Ava spürte, wie sie ihre Fingernägel in ihre Arme krallte. So viel Wut und Angst. Der Schmerz kam erst an, als kleine Blutstropfen auf ihren Fingerkuppen leuchteten. Sie öffnete die Augen und stand auf.

Die Tür war zu, Fenster gab es nicht. Überall waren verschlossene Türen, überall Wände, die sie anstarrten und auslachten. Ava hielt es nicht mehr lange aus. Geschlossene Räume, grelles Licht und überall diese Stille. Sie vermisste die Schlangen - die waren um alle Mal besser, als die stummen Gestalten in diesem Raum. Sie seufzte, lief umher und versuchte nachzudenken. Es war so schwer nachzudenken, wenn ihre Gedanken etwas anderes wollten. Immer wieder wanderten sie zurück zu seinem Gesicht. Warum taten sie das? Warum konnten ihre Gedanken sie nicht einfach in Ruhe lassen? Immer wieder sein Gesicht, das Nichterkennen. Das stumme Nichterkennen.

Die Tür ging auf und eine große Gestalt in Weiß stand vor ihr. Wie lange war sie hier gewesen? Die weiße Gestalt ging auf sie zu und Ava wich zurück. Nicht anfassen. Nicht berühren. Bloß nicht wieder berühren. Ihre Augen starrten die Gestalt an, warnend, flehend. Nicht berühren. Keine großen Hände, keine festen Hände. Sie wich stetig zurück, bis sie eine Wand im Rücken spürte, nicht mehr zurückweichen konnte. Bitte nicht berühren. Die Gestalt blieb vor ihr stehen, streckte die Hand aus. Ava schüttelte den Kopf. Bitte nicht. Die Hand sank herab und Ava sank ebenfalls, tiefer auf den Boden und am liebsten noch darunter. "Ausgang." Sie sah auf. Raus? Sie durfte endlich wieder raus? Wann hatte sie das letzte Mal die Sonne gesehen? Ohne Glas, ohne Gitter vor dem Glas? Langsam stellte sie sich wieder auf und die Gestalt drehte um, bedeutete ihr zu folgen. Die Luft entwich aus ihren Lungen und ihr Herz war wieder da, schlug schnell und drängend. Los! Die Sonne wartete, das Draußen wollte Ava wieder haben und Ava wollte das Draußen wiederhaben. Sie folgte der hochgewachsenen Frau aus dem Raum und spürte die Tür hinter ihnen zufallen.

Die Luft strömte in ihren Lungen, die Sonne kitzelte auf ihrem Gesicht. Endlich. Endlich spürte sie Gras unter den Zehen, konnte Vögel hören, die Welt. Nicht, dass das hier das Paradies war. Sie war noch immer hinter Zäunen, die hoch über sie ragten und sie noch immer gefangen hielten, sie von oben herab ansahen. Aber das hier war so viel besser als die Wände, die sie auslachten und anstarrten. Zäune konnten nicht starren, sie konnten sie nur festhalten und mit argwöhnischen Augen betrachten.
Ava setzte sich auf eine Bank und ließ die Beine baumeln. Was war heute für ein Tag? Machte es einen Unterschied? Jeder Tag war ein Tag zu viel für Ava und sie hatte Angst, den Verstand mit jedem Tag ein wenig mehr zu verlieren. Ich muss hier raus. Aber nicht allein. Was brachte ihr die Welt, wenn sie wieder allein war? Sie musste Janosch finden und ihm zeigen, wer sie war. Und er musste ihr zeigen, wer er war. Warum er sie gehalten hatte, warum er dagewesen war. Er musste ihr verstehen helfen und sie ihm. Erneut sank ihr Kopf herab und Ava musste ihn mit den Händen festhalten. Nicht, dass er abfiel und auf dem Gras rollte. Ohne Kopf dachte es sich unglaublich schwer.
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Janosch Ullberg
PATIENT #406
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BeitragThema: Re: DEAD BITE ;; DIE KAPITEL    DEAD BITE ;; DIE KAPITEL  - Seite 2 EmptySo Apr 26, 2020 10:28 pm

Er wiederholte die Buchstaben immer wieder, immer hintereinander, so schnell, dass sie den Namen ergaben, bis ihm die Kehle kratzte und er den Mund schließen musste, wenn er nicht unkontrolliert zu husten anfangen wollte. Er wusste er hatte etwas falsch gemacht, er wusste nur nicht wie er es wieder gut machen sollte. Oder ob. Er wusste, dass er das Mädchen irgendwo her kannte, aber es gab einfach keinen Raum für ihn, keinen Platz in seinem Kopf, um nach einer Erklärung zu suchen, nach einer Erinnerung zu suchen, nach Kamille zu suchen. War sie überhaupt noch in seinem Kopf? Oder war er nun leer? Waren da nun nur noch die drei Buchstaben, aneinandergereiht? War das alles, was übrig war? Er raufte sich die Haare, krampfte die Finger zusammen, in seine Kopfhaut, krampfte bis er immerhin einen leichten, dumpfen Schmerz spüren konnte, ein Druckgefühl in seinem Kopf. Das wirkte vertraut wie sonst auch, auch wenn es nicht vertraut war, weil es nicht wie sonst war. Sonst kam der Druck von innen. Der Druck von Kamille. Etwas zu tun. Etwas nicht zu tun. Es war immer bloß sie. Jetzt war da nichts und das Erste was ihm einfiel, war selbst Druck zu erzeugen? Er verdiente wohl wo er war.

Verdiente es so sehr.

Kopfschüttelnd betrachtete er sich wie von oben, wie von außen, wie vielleicht Kamille ihn sah. Oder vielleicht sah auch Ava ihn so. Vielleicht sahen ihn alle, die ihn sahen, so. Da saß er, zusammengekauert, die Beine angewinkelt unter seinem Bett ausgestreckt, den Kopf in den Händen gepackt, vorgebeugt, die Stirn gegen die Matratze gelehnt, in die er noch zuvor gemurmelt hatte. Immer und immer wieder und immer wieder und noch einmal. Er war verrückt. Er musste einen Plan finden, er musste etwas tun, er musste Kamille suchen, oder sich erinnern oder Ava finden und sie bitten ihm zu helfen sich zu erinnern, oder herauszufinden... Was er alles nicht verstand. Dabei war das eine ganze Menge. Ob er so viel Zeit hatte herauszufinden, was er nicht verstand? Drängte die Zeit ihn etwa? Musste er Sorge haben, dass ihn etwas einholte, oder aber, dass ihm etwas entwischte? Würde Ava ihm entwischen? Würde Kamille ihm entwischen? Brauchte er beide um sein zu können, oder nur einen von beiden, oder gar keinen?

Nun er musste es wenigstens versuchen, herauszufinden. Was auch immer er dabei entdecken würde. Oder was auch immer ihm dabei entwischen würde. Oder was er dabei fangen würde. Oder was ihn dabei fangen würde. Er stöhnte gequält auf. Das waren zu viele Dinge, die er nicht erahnen konnte, nicht voraussehen konnte. Da konnte er sich die Mühe, sich darüber den Kopf zu zerbrechen gleich sparen. Ja. Die zusammengekauerte Hülle schob sich also langsam wieder unter dem Bett zurück, bis die Beine freilagen und dann erhob er sich, den Blick noch immer zum Boden gerichtet. Und dann hob er den Blick und sah zu dem winzigen Fenster herüber, dass schmal und hoch an der Wand lag und murmelte sich selbst Zuspruch zu. Sonst konnte er nichts in seiner Zelle tun, außer zu warten, zu denken. Und das Denken brachte ihn nicht weiter, eher noch verwirrte es ihn mehr. Also tat er, alles was er tun konnte, nahm den Stuhl, den er hatte und schob ihn unter das Fenster, ehe er hinauftrat und hinausblickte. Die Gitterstangen sah er gar nicht. Fast erschrocken bemerkte er, dass es bereits Mittag oder Nachmittag sein musste. Was hatte er den ganzen Tag über gemacht? Hatte er den ganzen Inhalt eines fast ganzen Tages vergessen? Wie war das möglich? Hatte Kamille den fast ganz vergessenen Tag mit sich genommen? Wohin auch immer sie verschwunden war? Oder wo auch immer hin es sie verschleppt hatte? Und überhaupt was hatte sie verschleppt – Nein. Er hatte gesagt kein denken. Er blinzelte dem Licht entgegen und senkte wieder den Kopf. Moment mal...

Er wusste nicht wie oft er sie gesehen hatte, aber gerade befand er, dass er sie zum zweiten Mal sehen konnte. Denn das musste sie sein. Auch wenn er sie nur so kurz betrachten hatte können, so hatte sie sich ihm doch eingeprägt, durch alles was sie mit ihm getan hatte, durch alles was sie ihm gesagt hatte, durch alles was er hatte durch sie empfinden können. Und irgendwie, war das seit sehr langer Zeit etwas gar nicht so Schlimmes gewesen, wie sonst immer passierte, wenn er berührt wurde, was passierte, wenn er angesehen wurde, wenn man ihn bemerkte. Das war gerade zu absurd, aber vielleicht lag es ja diesmal an ihr. An ihm konnte es wohl kaum liegen. Denn er hatte sich nicht geändert, zumindest dachte er das. Ihr Haar schimmerte heller von der Sonne angeschienen. Und sie schien ebenfalls hell und er konnte die Augen kaum von ihr lassen. Also legte er die Hände an die Scheibe und trommelte unablässig mit dem Daumen gegen das Glas. Der Ton war viel zu leise, als dass sie ihn hören würde, aber der Ton war so laut in seinem Kopf. Da dachte sein Kopf schon einen Moment sie musste es so laut hören, wie es in seinem Kopf dröhnte.
"Ava. Ich weiß ich habe dich gesehen. Ich werde mich erinnern. Ich mache es wieder gut."
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Ava Litchmore
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BeitragThema: Re: DEAD BITE ;; DIE KAPITEL    DEAD BITE ;; DIE KAPITEL  - Seite 2 EmptyMo Apr 27, 2020 4:01 pm

Ava ließ all ihre Gedanken einfach aus ihrem Mund plumpsen. Sie hielt den Kopf zwischen den Händen, ihre schwarzen Haare fielen wie ein Vorhang vor ihr Gesicht und sie öffnete langsam den Mund und merkte wie ihre sich drehenden Gedanken einfach herausfielen und auf dem Boden zerschellten. Gerade konnte sie diese Dinger nicht gebrauchen, sie hielten sie nur auf und machten sie schwer. Sie hielt den Kopf so lange nach unten gebeugt, bis ihre Gedanken leer waren, alle auf dem Boden zerschellt. Mit dem Handrücken wischte sie sich nachlässig den Mund ab und sah eine silberne Spur auf ihrer Haut. Denken ist Silber, Sprechen ist Gold. Wie war das nochmal? Nicht so, aber bei Ava war alles nicht mehr so, wie es eigentlich einmal sein sollte. Vermutlich waren ihre Gedanken aus Silber und ihre Worte pechschwarz. Aber gerade gab es auch keinen Grund für sie zu sprechen. In der kleinen Gartenanlage, die vielmehr eine Wiese mit Bänken war, war noch ein Patient unterwegs, der jedoch mit sich selbst sprach und vollkommen beschäftigt schien. Und sie wollte auch mit niemandem sprechen, außer mit diesem komischen Jungen. Wenn sie die Augen schloss, konnte sie sein Gesicht vor ihrem inneren Auge sehen. Wie sein Gesicht unter Wasser aufgetaucht war und ihre Hand an sich gezogen hat. Dann sein Gesicht so nah vor ihrem, als sie das Augenlicht und er der Körper war. Und jetzt waren sie nichts mehr. Nicht mehr Auge und Körper, viel eher Fremder und Fremde. Sie biss die Zähne zusammen. Warum mussten sie alle gehen? Sie alle nahmen sich einen Teil von ihr, machten sie abhängig und verschwanden dann. Sie nahmen sich die besten Stücke und waren dann fort und Ava blieb dort, mit Löchern in ihr, die sie nicht mehr hatte stopfen können. Aber bei Janosch war es anders gewesen, er hatte nicht genommen - er hatte gegeben und war verschwunden. Das war viel schlimmer.

Sie hob den Kopf und blinzelte in die Sonne. Wie lange war sie hier nicht mehr draußen gewesen? Wie lange war sie überhaupt schon hier? Die Tage zerflossen zu einer zähen Masse. Je länger die Masse war, desto mehr zerfloss auch ihr Verstand. Vehement schüttelte sie den Kopf und band ihre langen Haare mit einem zerschlissenen Haargummi zusammen. Sie hatte es mal irgendwo gefunden und hütete es vor den Augen der Wächter. Und jetzt half es ihr, einen klaren Blick zu behalten. Die wenige Zeit, die sie hier draußen hatte, wollte sie nutzen und streckte ihre Beine aus, stand auf und ging mit zögernden Schritten auf dem kleinen Weg des Gartens umher. Ihre Muskeln taten weh und zogen bei jedem Schritt. Ava und Janosch waren gestern so viel gerannt, erinnerte sie sich und merkte, wie die Erinnerungen mehr und mehr verblassten. Sie blieb erschrocken stehen und legte eine Hand an die Seite ihres Kopfes. Die Erinnerungen mussten bleiben. Unbedingt. Ava durfte sie nicht verlieren. Wenn auch sie all das vergaß, dann blieben zwischen ihr und Janosch nichts als Spinnereien. Und vielleicht nicht einmal das.
Sie waren viel gerannt, versuchte sich Ava vor Augen zu führen. Sie waren fortgerannt, immer wieder und Ava wusste noch, wie sehr ihr Körper geschmerzt hat. Wie sehr ihre Lungen geschrien haben beim Rennen. Und ihre Muskeln wussten noch immer, wie viele Schritte sie getan hatten. Ava beruhigte sich - die Erinnerungen waren noch da.

Aus den Augenwinkeln sah sie eine Bewegung und fuhr herum. Die Sonne reflektierte sich in der verschmutzten Scheibe und Ava wusste einige Sekunden nicht, worauf sie starrte. Aber je länger ihr Blick sich an die Sonnenstrahlen gewöhnten, desto mehr kam das Gesicht zum Vorschein, welches sie mit großen Augen ansah. Ein Freudenschrei entfuhr ihr aus dem Hals. Schreien war Gold, nicht Sprechen. Mit schnellen Schritten überbrückte sie den Abstand zwischen sich und dem Fenster, zwischen sich und Janosch. Ihr Herz klopfte schnell gegen ihre Brust und sie streckte sich, um von unten in das Fenster sehen zu können. Sie hatte Glück und konnte sich an den Gitterstäben hochziehen. Welche Götter auch immer auf sie herabblickten, sie hatten heute Gnade. "Geht es dir gut?", fragte sie besorgt. Sie musterte sein Gesicht und stellte erleichtert fest, dass sie ihn nicht wieder in das Becken geworfen hatten. Er schien unverletzt. Sie suchte in seinen Augen nach einem Hinweis auf Erkennen, konnte seine Blicke jedoch nicht lesen. Er war ein verschlossenes Buch für sie, vielleicht konnte sie aber auch einfach nicht die Sprache, die er für sich gewählt hatte. Frust stieg in ihr auf. Frust, dass sie ihn nicht einfach berühren konnte. Dass diese Wächter ihn einfach von ihr fortgerissen hatten. Da war so viel in seinem Schrei gewesen, das sie nicht verstanden hatte. Und sie wollte verstehen. Sie wollte ihm helfen, so wie er ihr geholfen hatte. "In welchem Zimmer bist du?", fragte sie dann und sah sich um, niemand sah ihr zu. "Wenn die Türen heute für das Mittagessen geöffnet sind, komme ich zu dir. Ich .. ich muss dir soviel erzählen und du musst mir sagen, ob ich verrückt geworden bin."
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Janosch Ullberg
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BeitragThema: Re: DEAD BITE ;; DIE KAPITEL    DEAD BITE ;; DIE KAPITEL  - Seite 2 EmptyMo Apr 27, 2020 9:28 pm

Stress.

Janosch empfand puren Stress. Das war ganz schön viel auf einmal. Nein. Das war sogar viel zu viel auf einmal. Hatte er nicht eben noch festgestellt, dass sie ihn auf keinen Fall hören könnte? Hatte er nicht eben noch gedacht, dass nur er in seinem dumpfen, leeren Kopf alles so laut hörte? Ganz recht. Er hatte sich darauf eingestellt und damit abgefunden, dass er sie sehen konnte und sie ihn nicht, dass er sich hören konnte und sie ihn nicht. Und auf einmal – von dem einen verdammten Moment in den Nächsten hinein, da hatte sich alles was er eben noch gedacht hatte schon wieder überworfen und von der einen zur nächsten Minute hing sie ihm geradezu mit ihrem Gesicht gegenüber. Stress! Das bereitete ihm Stress, verdammt. Was dachte sie sich nur dabei? So benahm man sich doch nicht. Man überrumpelte doch niemanden, der still und unbemerkt aus seinem Fenster gaffte, derart und warf sich ihm ins Gesicht. Nun es war ja nicht so, als hätte er die Richtlinien des Lebens irgendwann einmal begriffen, aber gerade war er so überworfen, dass er unsicher eilig sein Gesicht von der Scheibe entfernte und ihr beunruhigt entgegen starrte.

Geht es dir gut?“, fragte sie als sie ihn so gut wie eben möglich sehen konnte und fast auf Augenhöhe mit ihm verharrte. Verflucht, es war völlig dämlich sich nun so zu benehmen! Noch eben hatte er ihren Namen immer und immer zu wiederholt und in seine Matratze gemurmelt und dann hatte er sie gesehen und sie hatte ihn gesehen und tatsächlich war es ganz natürlich, dass sie ihn dann aufsuchen würde und versuchen würde mit ihm zu sprechen. Es lag ja nicht an ihr, dass er gefühlt ohne Kamille noch nie ein vernünftiges Gespräch geführt hatte. Zumindest mit niemand anderem als seinen Eltern. Irgendwie hatte sie ihm immer erklärt, wie das Gegenüber funktionierte und was er sagen sollte oder allein, was ihre Worte oder ihr Gesicht für Emotionen ausdrückten. Jetzt gerade war er also das erste Mal völlig auf sich gestellt und konnte nicht wie sonst darauf ausweichen, den Blick abzuwenden, zu Boden zu starren und darauf zu warten bis die Situation sich selbst klärte. Er schnaufte gestresst auf und starrte dann zu ihr. Ja man konnte meinen sein Gesicht drückte deutlicher aus, wie er empfand, als dass er selbst es je begreifen könnte.

Er räusperte sich etwas und versuchte dann aufmerksam zu ergründen, was Avas Gesicht ausdrückte und was Kamille sonst sofort gesehen hätte. Also da waren...und...also...ihre Augen waren hübsch? Sie hatte gefragt ob es ihm gut gehe. Nun. Auch das war sonst eine Frage die Kamille beantwortete...aber für gewöhnlich war ihre Antwort „Natürlich geht es ihm gut. Den Dummen geht es immer gut. Es geht ihm gut, Schnepfe!“ und ihm wurde wieder bewusst wie gemein Kamille eigentlich war. Etwas geknickt nickte er also. Er würde trotzdem sagen, dass alles gut war. Immerhin lebte er noch und ihm tat nur das ein oder andere weh, aber sichtbare Verletzungen schien er nicht zu haben. Da war zwar die dringende und wichtige Geschichte mit Kamille, aber er wusste nicht wie er dies ansprechen sollte. Oder ausdrücken. Oder erklären...also ließ er es lieber sein. „In welchem Zimmer bist du?“, fragte sie nun weiter und schien vielleicht etwas in Eile zu sein. Das war verständlich, immerhin klammerte sie sich gerade an die Gitterstäbe vor seinem Fenster, dass sowohl die Außenwelt vor ihm und die Innenwelt vor ihr schützen sollte und irgendwie war das ein deutlicher Regelbruch, den keiner bemerken durfte. Der wichtige Faktor war also Zeit. Unsicher blickte er sich um. Er hatte nie darauf geachtet in welchem Zimmer er genau war, das konnte man auch schwer, wenn man immer nur den Boden oder den Teller oder die Auslage vor sich betrachtete und keinen Blick für die Umgebung opferte, weil man fürchten musste sonst angeschaut zu werden. Und Blickkontakt verleitete die meisten Menschen zu etwas, dass nie gut für ihn ausging. „Ah. Aaah...ich also ich weiß nicht. Es ist... Links, Links, drei Stufen, Links und dann das siebte rechts.“, gab er so deutlich wie möglich von sich. Das war der Weg, den er immer zurücklegte, wenn er gegessen hatte, oder geduscht, oder wenn man ihn hinter den anderen herzog. Vielleicht konnte sie damit ja etwas anfangen. Gequält und mit der Gewissheit wie immer nicht genug zu ihrem gemeinsamen Kampf – welcher genau das auch war – beitragen zu können seufzte er traurig auf. Er war ja so eine Enttäuschung. „Wenn die Türen heute für das Mittagessen geöffnet sind, komme ich zu dir. Ich...muss dir soviel erzählen und du musst mir sagen, ob ich verrückt geworden bin.“, sagte sie und zum ersten Mal hatte er den Anflug einer Vermutung, dass sie besorgt oder beunruhigt war. Das sagte ihm aber immer noch nicht ihr Blick, sondern ihre Worte. Denn niemand hier drin fragte sich, ob er verrückt war. Er wusste es entweder, oder er verleugnete es. Aber es war nie eine Frage. Und das bedeutete, dass sie auf etwas sehr Wichtiges anspielte! Und das konnte nur bedeuten, dass es mit etwas zu tun hatte, was vor dem Verschwinden von Kamille stattgefunden hatte und mit seinen Schmerzen und mit der Gewissheit, dass er sie bereits zuvor gesehen hatte! Denn das wusste er ganz sicher. Er hatte sie gesehen. Ein merkwürdiges Gefühl des Triumphs durchströmte ihn. Er hatte ein Gefühl erkennen können, ganz allein, ohne Kamille. Vielleicht konnte er lernen, eine Zeit lang ohne sie auszukommen! Zumindest mit Ava! Dann aber blickte er wieder irritiert zu ihr. „Ava...Mittagessen? Ich dachte es wäre bereits vorbei?“, fragte er also unsicher, ehe er sich versichernd umschaute, ohne genau zu wissen worauf er achten sollte, was ihm eine Bestätigung geben würde, oder bedeuten würde, dass er Unrecht hatte. Aber da bei ihm keine Uhr hing, blickte er wieder verloren zu ihr. „Ava ich habe dich gesehen!“, sagte er dann bestimmt und nickte mit Nachdruck ehe er die Hände an die Scheibe presste so fest er konnte und sich vorbeugte. „Sag‘ was ich tun soll, und ich tue es!“, nickte er wieder und drehte den Kopf leicht, um mit seinem Ohr näher an ihre Worte zu kommen.
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Ava Litchmore
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BeitragThema: Re: DEAD BITE ;; DIE KAPITEL    DEAD BITE ;; DIE KAPITEL  - Seite 2 EmptyFr Mai 01, 2020 7:24 pm

Ava stockte, als sich Janosch von dem Fenster entfernte. Ihre Augenbrauen gingen hoch und sie versuchte sich noch mehr an den Gitterstäben hochzuziehen. Vielleicht hatte er sie auch gar nicht richtig erkannt? Sie schaffte es, sich mit ihren nackten Füßen an der Wand abzustützen und sich so auf ihre Ellenbogen zu positionieren, dass sie halbwegs bequem an dem Gemäuer vor dem Fenster hing. Von außen musste ihre Haltung unglaublich lustig aussehen, aber in dieser Umgebung gab es niemanden, der hätte lachen können. Oder überhaupt jemanden, der einen Blick in ihre Richtung verschwendete. Und einen Gedanken verschwendete Ava ohnehin nicht daran, ob sie jemand auslachen könnte. Die Letzte, die das versucht hatte, musste eine Bastelschere aus ihrem Arm ziehen. Viel eher versuchte Ava durch das verschmutzte Glas einen besseren Blick auf Janosch erhaschen zu können. Er hatte sich von der Scheibe entfernt und schien .. Ava überlegte kurz. Nein, das war nicht Erkennen in seinen Augen. Es lag viel näher an dem, was Ava oft von ihren Mitschülern gesehen hatte. Er schien überfordert mit der Situation. Sie schluckte. Sie wollte ihn nicht überfordern. Ava wollte nicht wieder dafür verantwortlich sein, alle von sich gestoßen zu haben. Nicht ihren letzten Halt.

Sie atmete erleichtert auf, als Janosch zurück zu der Scheibe kam und sich ihr entgegenstreckte. Langsam taten Avas Arme weh – sie war es nicht mehr gewohnt, ihren Körper zu belasten. In den Gebäuden der Klinik war es immer still, hektische Bewegungen kamen von den Irren und wer sich hektisch bewegte, wurde wie ein Irrer behandelt. Rennen, Springen, selbst Tanzen waren verboten. Und solche Klettereinheiten waren es bestimmt auch. So hing sie also wie ein Eichhörnchen vor Janoschs Zimmer und streckte ihm ihr Gesicht entgegen, glücklich, dass auch er zurück zu ihr getreten war. Aber das, was er von sich gab, ließ ihr Glück wieder zerschmettern. „Links, Links .. ?“, versuchte sie zu wiederholen, runzelte dann die Stirn. Sie sackte ein wenig ab und stieß sich noch einmal kräftiger an der Mauer ab, um wieder auf Augenhöhe zu sein. Wovon denn Links Links?“, fragte sie ein wenig frustriert. War sie denn die Einzige hier, die noch alle Tassen im Schrank hatte? Naja, vermutlich hatte Ava eher Besteck im Tassenschrank und die Tassen standen alle benutzt und weggeworfen im Wohnzimmer. Aber sie waren da. Das war die Hauptsache. Dann kam ihr eine Idee. „Deine Nummer! Was ist deine Nummer? Zeig mir dein Armband.“ In den ersten Tagen nach ihrer Ankunft hatte sie die Flure erkundet und festgestellt, dass neben dem Schwesternzimmer eine Liste hing mit den Nummern der Patienten und ihren Zimmern. Fein säuberlich aufgeschrieben. Und einige Nummern waren durchgestrichen. Jeden Tag waren es mehr durchgestrichene Nummern. Es waren wohl so viele Zimmer und Menschen, dass sich nicht einmal diese fiesen Schwestern merken konnten, wohin sie ihr Leid nun tragen sollten. Es hatte auf Ava fast wie eine Abschussliste gewirkt und ehrfürchtig war sie den feinen Linien ihrer Nummer nachgefahren – wann sie wohl für den Abschuss freigegeben war?
„Oh ..“, sagte sie dann, als Janosch sie zurück in die Realität holte, sah kurz über ihre Schulter zum Himmel auf und stellte fest, dass er recht hatte. Das Mittagessen war schon lange vorbei und so auch der Mittag. Sie hatte nicht erwartet, dass es bereits so spät war. Wie lange war sie im Time-Out gewesen und hatte .. nichts gemacht? Kurz spürte sie einen kleinen Rückschlag. Vielleicht fehlten ja doch ein paar Tassen. Jemand musste sie unter das Sofa gerollt haben und jetzt kam Ava nicht mehr ran. Sie schüttelte den Gedanken ab. „Ava ich habe dich gesehen!“, rissen sie seine Worte zurück zu ihm und sie sah aus ihren großen Augen auf die Scheibe, versuchte die Konturen seines Gesichtes deutlich sehen zu können. Aber diese dämliche Sonne blendete und der Staub hinderte sie daran, einen klaren Blick einzufangen. Sie wischte mit ihrem Handballen über das Glas und konnte ihn endlich voll und ganz erkennen. Ihr Herz stolperte kurz. „Wo hast du mich gesehen?“, fragte sie und ihre Stimme überschlug sich. „Diese .. Welt .. wir müssen sie wiederfinden!“ Ihre Worte ergaben keinen Sinn, scholt sie sich selbst. Sie musste sich zusammenreißen, wenn sie vorankommen wollten. Hör auf, wie eine Irre zu reden. Du bist nicht irre. Den Kopf schüttelnd zog sie sich noch ein wenig höher und legte ihre Hand auf seine, das Glas trennte sie, aber sie konnte spüren, dass sie sich näher kamen. Schließlich hatte er sie nicht vergessen. Nicht komplett, auf jeden Fall. Das musste ihr reichen. Vorerst.

„Sag‘ was ich tun soll, und ich tue es!“ Verwundert sah sie ihm in die Augen und legte ihren Kopf schief. Woher sollte sie wissen, was er tun sollte? Sie wusste ja nicht einmal, was sie selbst tun sollte. Nie hatte sie Menschen gesagt, was sie tun sollten, nur was sie lassen sollten. In ihrem Kopf ratterte es. Ava war keine Anführerin und nicht gut im Pläne schmieden. „Wir müssen uns gemeinsam überlegen, was wir tun“, antwortete sie also und sah sich noch einmal um. Noch niemand war in den Park gekommen, um sie zu holen, aber sie wusste, dass es nicht mehr lange dauern konnte. Und wenn jemand sie hier so hängen und reden sah, brachte ihnen auch der ausgeklügelteste Plan nichts mehr. „Der Gemeinschaftsraum .. der grüne mit dem Hängesessel, der auf dem Boden steht .. erinnerst du dich an den?“ Ava war sich sicher, dass sie ihn einmal dort gesehen hatte. Mit dem Kopf nach unten, irgendwelche Worte murmelnd, während neben ihm ein Streit zwischen zwei Männern ausgebrochen war. Ava war schnell verschwunden, hatte sich aber gewundert, dass der Junge nicht auch in Deckung gegangen ist. „Wenn du raus darfst, warte ich da auf dich!“, versprach sie ihm und merkte gleichzeitig, wie ihre Muskeln zu zittern begangen. Schnell nahm sie die Hand von der Scheibe und hielt sich wieder mit beiden Händen an den Gittern fest. Gleichzeitig hoffte Ava, dass sie dieses Versprechen auch halten konnte. Wer wusste, wann die beiden das nächste Mal rausdurften? Und wer wusste, wann sie die nächste "Therapie" hatten?

Sie schreckte zusammen, als sie das Tor des Gartens öffnen hörte. „Ich muss los. Vergiss mich nicht!“ Ava drückte ihre Worte gegen die Scheibe und ließ mit einem Mal los, plumpste auf den Boden und beeilte sich den Dreck von ihrer Hose zu klopfen, als sie sich nähernde Schritte auf dem Kies hörte.
„342? Herkommen!“  Ihre Zähne knirschten. Ava. Sie hieß Ava. Wer sich drei Ziffern merken konnte, konnte sich drei Buchstaben merken. Sie riss sich das Haargummi vom Kopf und verstaute es wieder in ihrer Hosentasche, ging dann widerstrebend zu der Stimme und stand einem hochgewachsenen Wächter gegenüber, der sie gar nicht richtig ansah. „Wohin?“, fragte sie knapp und ihre Worte trieften vor Hass. Sie spürte, wie ihre Handflächen schwitzten und ihre Zähne übereinander knirschten. „Einfach nur rein. Wir wollen ja nicht, dass deine zarte Hart verbrennt“, kam es spöttisch zurück. Ach, all die kleinen aufmüpfigen jungen Erwachsenen, mit ihrer Rebellion und ihrem Widerstand. Irgendwann waren sie alle durchgestrichenen Nummern auf der Liste. Oder standen in der Ecke und zählten die Minuten und Sekunden, weil es nichts mehr anderes zu zählen gab.
Ava folgte ihm zurück in das Gebäude und stieß ein Gebet in den Himmel, dass Janosch sie verstanden hatte. Sie mussten so schnell es ging, zurück. Das Bild dieser Tür hatte sich in ihren Verstand eingebrannt. Sie mussten dadurch. So nah dran waren sie gewesen. Und sie wusste nicht, woran sie gescheitert waren. Aber noch einmal würden sie das nicht.
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Janosch Ullberg
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BeitragThema: Re: DEAD BITE ;; DIE KAPITEL    DEAD BITE ;; DIE KAPITEL  - Seite 2 EmptySo Mai 03, 2020 8:49 pm

Noch immer fiel es ihm einfach schwer die Gemütslage von Ava richtig einzuordnen, aber immerhin hatte er nun häufiger den ein oder anderen Verdacht. Besonders tat sich ihm der Verdacht auf, dass sie verärgert über seine Beschreibung war, wie man zu seinem Zimmer gelangte. Dabei hatte er nun wirklich nicht die Mittel sich eine Bessere Beschreibung zu überlegen. Geduldig hatte er den Rhythmus mit ihr gemeinsam wiederholt und so abermals „Links, Links, drei Stufen, Links und dann das siebte rechts!“, gemurmelt ehe ihm ihre plötzliche Unzufriedenheit und Unsicherheit über die Angabe von ihm bewusst wurde. Dabei konnte er nun wirklich einfach nichts dafür. Zeitlebens hatte er gelernt, dass es sich eben bewährte den Blick nicht all zu hoch zu heben und wenn, dann nur den Fokus auf Objekte zu richten die, mit aller Sicherheit, die die Situation aufbringen konnte, nicht lebendig waren. Besah man sich lebendige Objekte, neigten diese dazu zu spüren, dass es ihm ganz und gar nicht einfach fiel sie zu betrachten. Und besah er sich lebende Subjekte, dann war klar, dass er immer sogleich Konsequenzen zu fürchten hatte. Dabei war die Skala von „Oh, du siehst mich an, also können wir ein ausladendes Gespräch über Dinge führen, über die du nicht sprechen willst“ bis hin zu „Na, sieh an wen haben wir denn da?“ mit anschließender Bekanntmachung aller üblen Dingen, die die jeweilige Person drauf hatte. Darunter waren Tritte, Faustschläge, Bloßstellen oder auch nur sprachliche Gemeinheiten, die er von all dem am ehesten bevorzugte. Immerhin war er die ohnehin schon gewohnt und etwas fieseres als Kamille hatte sich bisher noch nie jemand einfallen lassen. Warum sollte es ihn auch grämen, wenn er für sein Äußerliches oder seine Macken bemängelt wurde? Er hatte schließlich eine Freundin, die vielleicht keine Freundin war, die keiner sehen konnte und die viel öfter ziemlich gemein war. Aber da war ja jetzt auch noch eine neue Freundin die vielleicht keine Freundin war, der er sich widmen musste... Erschrocken darüber, dass seine Gedanken abschweiften, obwohl die Zeit doch in ihrem Gespräch ein überaus wichtiger Faktor war, schollt er sich selbst in dem er die Knöchel der einen Hand über die Mauer schleifen ließ.

Ratsch.

Und er war wieder voll da.

Wie hätte er auch nicht gekonnt. Das war eine überaus ekelhafte Form der Genugtun, die Kamille regelmäßig einforderte, wenn er sich weigerte ihr zuzuhören, was eher ein Lob verdient hätte. Der wer kann schon jemandem nicht zuhören, der sich im eigenen Kopf zu befinden scheint. Oder zumindest da das meiste Unheil anrichtet. Jedenfalls! Erschrocken und eilig zugleich hob er seine nun etwas aufgeschürfte Hand wieder und drückte sie platt gegen das Fenster, so dass das Armband, dass an seinem Handgelenk baumelte, weil es so dünn war, ebenfalls gut zu sehen war. Und tatsächlich kannte er die Antwort sogar, ohne selbst einen Blick auf sein Band werfen zu müssen und half ihr, in dem er es noch einmal aussprach. „Vier – Null – Sechs. Vierhundertsechs. Vier – Null – Sechs!“, gab er sein Mantra von sich und stellte sicher, dass Ava auch visuell aufnehmen konnte, was er sprach und es sich so ganz bestimmt merkte. Im Austausch versuchte er ihre Nummer an ihrem Handgelenk zu erkennen, mit denen sie sich fest an den Gitterstäben hielt.

Er hatte also womöglich doch Recht gehabt und den Mittag verloren. Aber Ava schien ihn ebenso verloren zu haben. Aber genau wusste er das auch nicht, denn hier hatten einige auch kein Gefühl für Zeit. Besonders verlor man es schließlich, wenn man den Veränderungen des Tages ganz beraubt wurde in dem man in eine der Zellen ohne Fenster geworfen wurde. Aber nun verlangte es eine genaue Erfassung der Zeit! Denn Zeit war nicht nur für ihr Gespräch eine wichtige Komponente, sondern wie er feststellen wollte auch eine ausgesprochen wichtige Komponente in jedem vernünftigen Plan. Und da er selten wirklich groß plante, war es noch wichtiger, dass ein gemeinsamer Plan erfolgreich verlief. Und dann nannte Ava ihm Ort und Zeit so gut es möglich war. Und damit hatte Janosch plötzlich den ersten großen Plan, den er verfolgen musste. Wo? - Der grüne Gemeinschaftsraum mit dem Hängesessel. Wann? – Sobald er sein Zimmer verlassen konnte. Und sobald sie ihn dort treffen konnte. Das war sowohl besonders aufregend, weil er gerade zu einen Hauch von Freude empfand mit Ava einen Plan zu haben, durch den sie sich wiedersehen würden. Aber es war auch alles furchtbar viel und furchtbar anstrengend. Der grüne Gemeinschaftsraum war ein Ort von der er sich eigentlich fern hielt, es sei denn Kamille langweilte sich. Dann geriet er manchmal doch hinein. Noch zuletzt hatte es, wie er im Nachhinein fest glaubte, wegen ihm eine Prügelei gegeben. Aber nicht wirklich wegen ihm. Eigentlich wegen Kamille. Wie immer. Jemand hatte etwas missverstanden und er hatte wiederholt was er zu hören geglaubt hatte, weil Kamille es ihm befohlen hatte. Daraufhin gab es Streit – bei dem er ausnahmsweise nicht weiter involviert wurde und auch keinen Kollateralschaden hatte einbüßen müssen, weil er ja ach so vorwitzig etwas zum Geschehen beigetragen hatte. Wie das ganze ausgegangen war, hatte er nicht mitbekommen, aber Kamille hatte sich prächtig amüsiert und noch zwei Tage danach davon zehren können. Es muss also zu einem großen Spektakel gekommen sein. Enttäuscht, als sie davon ging legte er das Ohr an die Scheibe und hörte wie er bereits vermutet hatte noch einmal ihre eigene Nummer. Die Nummer unter der sie aufgeführt war. Dreihundertzweiundvierzig. Drei – Vier – Zwei. Einen hoch, zwei runter. Das konnte er sich gut merken.

Das würde er sich merken.

Im Gegensatz zu was auch immer genau er vergessen hatte. Ihre Nummer würde er nicht vergessen! Das nahm er sich fest vor. Jetzt musste er nur herausfinden ob dieser Plan auch dadurch in Gefahr geriet, dass Kamille vielleicht seine Erinnerungen geklaut hatte und etwas größeres Kamille geklaut hatte. Wie sollte er bei all den Fragen auch nur einen weiteren Moment ruhig herumsitzen? War alles was ihm nun bleiben würde A-V-A und Drei-Vier-Zwei? Das konnte er nicht zulassen. Er musste etwas tun. Aber er durfte auch nichts tun, was gefährdete, dass er am Morgen das Zimmer verlassen konnte, zum Frühstück gehen konnte und schließlich in der freien Zeit einen ganzen Tag lang, wenn nötig, im grünen Gemeinschaftsraum mit dem Hängesessel ausharren musste. Das waren so viele Dinge die schief gehen konnten... Wie sollte er da auch nur eine Sekunde Schlaf finden? Er würde sie jedenfalls nicht vergessen!
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Ava Litchmore
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BeitragThema: Re: DEAD BITE ;; DIE KAPITEL    DEAD BITE ;; DIE KAPITEL  - Seite 2 EmptyDi Mai 12, 2020 3:04 pm

„Link, Links, drei Stufen, Links und dann das siebte rechts“, sprach sie ihm nach und versuchte in ihrem Kopf eine Karte zu zeichnen. Aber verdammt, wo begann die Karte? Sie suchte in Janosch Blick eine Antwort darauf, denn wenn seine Lippen keine hatten, dann vielleicht seine Augen. Aber viel eher verlor sich sein Blick in der Ferne und Ava biss sich auf die Unterlippe. Für einen kurzen Moment überlegte sie, ihre flache Hand mit voller Wucht gegen das Glas zu schlagen, ihn aus seinen Gedanken zurückzuholen. Sie hatten schließlich keine Zeit und je länger Ava an diesem verdammten Gitter hing, desto schwerer wurde sie und desto schwächer ihre Arme. Ihre nackten Füße brannten. Immer wieder rutschte sie an dem Stein herab und musste sich wieder hochziehen und abstoßen. Sie spürte, wie die weiche Haut langsam aufriss und sie biss die Zähne zusammen. Sie konnte ihn nicht erschrecken. Nicht Janosch. Einmal in ihrem Leben wollte sie einem Menschen keine Angst machen und sie hatte das Gefühl, dass man Janosch nur allzu leicht Angst machen konnte. Also wartete sie ungeduldig, bis dieses Flimmern von seinen Augen verschwand. Sie sah zu, wie er eine Hand aus ihrem Sichtfeld nahm und dann kaum merklich zusammenzuckte.

Ava hob die Augenbrauen und biss sich auf die Zunge. Verdammt.
Er war wirklich verrückt.
Als hätte sie es nicht vorher gewusst. Aber ihr Herz rutschte ein wenig hinab. Sie musste einen klaren Kopf bewahren. Wenn nur ein Kopf zur Hälfte funktionierte und der andere gar nicht, war das eine schlechte Basis für ihr Unterfangen. Dann musste sie ihre Hälfte wenigstens irgendwie vor dem Wahnsinn beschützen. Sie musste für die beiden herhalten, für ihren Plan da sein. Der Plan, der noch kein Plan war. Denn noch immer hing Ava über dem Boden und wusste weder ein noch aus. Und aus wäre ihr da immerhin noch die liebste Richtung.

Er riss sie aus ihren Gedanken, als seine Handfläche wieder auf dem Glas landete und Ava strich fast schon zärtlich über die Stelle, bevor sie die Hand wieder an das Gitter legen musste. Ihre Schultern zitterten bereits und sie musste sich anstrengen, ihr Gesicht nicht zu verziehen. „Vierhundertsechs, alles klar. Dann bist du im vierten Trackt“, stellte sie fest und ihre Augen glänzten auf. Sie hatten einen Anhaltspunkt. Endlich ein Anhaltspunkt. Vielleicht würde ihr seine Wegbeschreibung jetzt etwas nützen. Er war ebenfalls auf den letzten beiden Gebäudeabschnitten stationiert. Akut. Akut nannten sie das, was die Gefängnisse lebenslänglich nannten. Akut waren die Irren, die irre blieben. Die nicht mit einem Knacks unter Menschen wandeln konnten. Akut waren die Irren, die selbst der Knacks waren und die nur Unheil bedeuteten. Aber Janosch sah nicht nach Unheil aus. Janosch sah nach Trauer und Schmerz aus. Sie spürte einen Stich in ihrer Brust. Früher hatte sie ihm ähnlichgesehen. Hatte sich mit geducktem Kopf durch das Leben geschlichen, war bei jeder Bewegung zusammengezuckt, bei jeder Berührung hatte sie geweint. Jetzt schrie sie. Jetzt schrie sie und schlug und biss und kratzte. Ava schluckte. „Ich bin unter dir. Dreihundertzweiundvierzig. Die letzte Tür links“, sagte sie schnell und warf immer wieder einen Blick nach rechts. Und als hätte sie es geahnt, war es auch Zeit sich von dem Fenster fortzustoßen. Sie hatte einen letzten Blick zu Janosch geworfen und war verschwunden. Oder war er verschwunden? Ava hielt sich fest, an dem, was sie gesehen hatte, an dem Plan, den sie so voller Eile geschmiedet hatten. Das bisschen, was sie an Plan hatten.

Der Wächter führte sie zurück in ihr Zimmer. Er vermied es, sie zu berühren. Vermutlich kannte er ihre Akte. Vermutlich hatte er gelesen, warum sie ausgerechnet in diesem Trakt war. Der dritte Abschnitt war ihm zuwider. Er konnte in den Augen der Patienten, der verdammten Psychos, sehen, zu was sie fähig waren. Und gleichzeitig waren es diese Patienten, mit denen man am meisten Spaß hatte. Niemand interessierte sich für sie. Ob sie nun eine durchgestrichene Nummer waren oder lebten, interessierte niemanden. Und diese kleine Ratte neben ihm, die mit erhobenem Kopf durch den Flur stolzierte, als wäre sie keine Gefangene, sondern Anführerin des Team Psycho, reizte ihn. Er wollte von ihr hören, was sie getan hatte. Wollte ihr dasselbe antun, was sie mit den Menschen getan hatte. Der Wächter sah zu ihr herunter und wunderte sich doch gleichzeitig, wie sie das hätte anstellen können, was in ihrer Akte stand. Sie schien so zerbrechlich, egal wie hoch sie ihr Kinn trug und wie unnachgiebig ihre fast schon orangen Augen waren. Sie glühten. Wie ein kleiner Dämon, der nur darauf wartete, seine Haut abzustreifen und die Hölle loszulassen. Als hätte man ihr das Psycho-Gen bereits in die Wiege gelegt, war sie mit den passenden Augen ausgestattet. Irgendwann waren sie bestimmt einmal braun gewesen und jetzt leuchteten sie in den Farben der Hölle und ihm ging ein Schauer über den Rücken. Er öffnete die Tür zu ihrem Zimmer und blieb davor stehen.
Ava sah nach oben und kniff die Augen zusammen. „Wieso?“, fragte sie und bewegte sich kein Stück. Sie wollte jetzt nicht zurück in diesen Raum. Dort gab es nichts, als ihre Gedanken und die weißen Wände. Keinen Janosch, keinen Weg zu ihrem Plan. „Du bist auffällig geworden“, sagte der Wächter kalt und wies mit der Hand in den Raum. „Ich habe jemandem geholfen“, knurrte sie und stampfte mit dem Fuß auf.
Der Wächter hob eine Augenbraue und lachte. Widerspenstige Brut. „Hier wird niemandem geholfen. Nicht du .. und dir hilft auch niemand“, verspottete er sie und aus einem Impuls heraus, legte er seine prankige Hand auf ihren Rücken und stieß sie mit Schwung in den Raum.
Ava zuckte zusammen, schrie leise auf und griff nach hinten, konnte seine Haut unter ihren Fingernägeln spüren und krallte sie hinein. Der Ruck riss sie von ihm fort, aber sie spürte, wie sie ihm die Haut aufriss, wie sie einen Teil von ihm mit sich riss und zufrieden sah sie die kleinen Blutspuren auf seinem Arm, ehe sie zu Boden fiel und mit dem Kopf aufschlug. Die Tür schloss sich und sie hörte ein „WUMMS“. Er hatte gegen die Tür getreten. Diese verdammte Brut.

Sie hielt sich den Kopf und unterdrückte die Tränen. Sie spürte sie aufsteigen und schniefte wütend. Nicht weinen, nicht weinen. Schreien, Schlagen, Beißen. Aber nicht weinen. Ava stand auf und hielt sich die Hand an den Kopf. Kein Blut, nur die Demütigung.
Sie zog einen Pullover aus ihrer Truhe und warf ihn sich über, betrachtete dann das kleine Zimmer. Was sollte sie hier schon tun? Sie setzte sich auf das Bett und legte den Kopf auf ihrem Kinn ab. Warten. Atmen. Existieren. Immer wieder sah sie zur Tür und wartete, bis sie sich öffnen würde. Sie konnten Ava doch nicht einfach hierlassen? Sie hatte seit gestern nichts gegessen und der Hunger stieg ihr bereits bis zum Kopf. So konnte sie nicht denken. Nicht mit dem Hunger und der Angst in ihrem kleinen Kopf. Ava schloss die Augen und atmete langsam und tief durch. Vor ihrem inneren Auge sah sie Janosch vor sich. Aber nicht den echten Janosch, der sie so verwirrt ansah und sie gar nicht mehr kannte – dem sie noch ihr „Vergiss mich nicht“ so verzweifelt gegen das Glas geworfen hatte. Sie sah den Janosch, der sie gehalten hatte, der ihr aufhalf und so nah an ihrem Gesicht war, ohne dass sie diese brennende Wut gespürt hatte. Warum war sie nicht wütend, wenn er bei ihr war? Warum waren seine Berührungen keine Klingen, sondern fühlten sich .. gut an? Weich und zärtlich. Nicht das zärtlich ihres Vaters .. ganz bestimmt nicht dieses zärtlich, welches ihr den Magen zusammenzog und die Tränen in die Augen trieb. Sie hielt sich an dem Bild fest. Diese Welt und Janosch spukten in ihrem Kopf herum und hielten sie wach, im Hier und Jetzt.
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Janosch Ullberg
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BeitragThema: Re: DEAD BITE ;; DIE KAPITEL    DEAD BITE ;; DIE KAPITEL  - Seite 2 EmptyFr Mai 15, 2020 6:45 pm

Es war spät geworden und wie immer fiel es ihm schwer Schlaf zu finden. Aber dieser Abend war noch schlimmer, als die anderen Abende. Kamille war nicht bei ihm, und er hatte sich noch immer nicht entschieden, ob ihn das freute oder ob es ihn fürchtete. Er wusste nur, dass es Gefahr für ihn bedeutete und er befand sich an keinem Ort, an dem er sich Gefahren entgegenstellen konnte. Was war, wenn er schlief und der Dead Bite würde ihn holen? Denn niemand war bei ihm, um ihn davon abzuhalten. Er wusste zwar nicht, ob Kamille je mächtig genug gewesen war sich etwas derart Schlimmen wie dem Dead Bite entgegen zu stellen, aber immerhin hatte er darauf vertrauen können. Und es war ein wohliger Gedanke gewesen, der ihn tröstete, wenn sie immer und immer wieder auf seine linke Schulter geschlagen hatte. Alles was jetzt noch bei ihm war, war der dunkle blaue Fleck an eben der Stelle, an der sie ihn immer und immer wieder geschlagen hatte. Ein Zeichen. Sie war noch nicht lange fort und er bildete sie sich nicht ein. Denn eine Einbildung hinterließ keine blauen Flecken. Er war ein großer junger Mann, und sicherlich hatte er aufgrund dessen einige Kräfte, von denen er nicht wusste, dass er sie hatte. Aber wenn er ehrlich war, war er nur eine verlassene, einsame, schlaksige Gestalt, die eher einem Schatten als einem wehrsamen Menschen glich.

Unruhig und voller Sorge fand ihn der Schlaf aber doch. Und noch etwas anderes fand ihn und brachte ihm in dieser Nacht einen Traum, an den er sich noch nach dem Aufwachen erinnern sollte.

Er konnte sie sehen. Er wusste, dass sie beide nackt waren. Er wusste es und spürte es in jeder Faser seines Körpers. Aber sein Blick konnte sich nicht von ihrem Gesicht losreißen. Es war wunderbar und unheimlich zugleich. Unheimlich deswegen, weil er erkennen konnte, dass etwas ganz und gar nicht in Ordnung war, obwohl er sich doch mit dem Erkennen so schwertat. Sie war zu blass. Sie war zu träge. Sie schwebte geradezu mit ihm, mit von ihm und seinem Gewicht in die Tiefe gerissen, aus der sie zuvor gekommen zu sein schien. Er konnte sie erkennen, weil Kamille bei ihnen war und ihm die Sicht ermöglichte. Und auch wenn sie sich noch zuvor darüber geärgert hatte, dass er sie Ava und nicht 342 nannte, so schwieg sie nun. Selbst sie schien zu spüren, dass etwas ganz und gar nicht in Ordnung war, obwohl sie ihm die Hand hielt und gelächelt hatte, ehe die Dunkelheit über ihn gekommen war. Kamille hatte gezittert, er hatte den stechenden Schmerz der Kälte verspürt, hatte die Augen gesehen und hatte Kamilles Angst bemerkt. Dabei hatte Kamille so selten Angst, dass es ihn bis ins Mark hätte erschüttern müssen... aber seine Finger um Avas Handgelenk gaben ihm Halt.
Sie glaubte ihm nicht. Sie befanden sich in einer Zelle und sie glaubte ihm nicht. Sie empfand seinen Glauben an Kamille als etwas Unglaubwürdiges. Und er konnte es ihr nicht verwerfen. Kamille war nicht bei ihm. Aber Ava war bei ihm und in diesem Moment war das wirklich schön. Es gab ihm Halt. Denn es war anders als normal in einer Situation die anders als normal war. Das machte es schon fast wieder normal. Die Worte „Ich will dich nicht überleben.“, hallten immer und immer wieder in seinen Gedanken nach, während er beobachtete wie sie sich bewegten. Wie die Geschichte sich weiterspann. Er war sich sicher, dass er nicht alles sah, was er sehen sollte, aber doch sah er einiges. Kamille hatte ihn verlassen und ihm auch gesagt, warum sie das tat. Selbst ihm Traum tat es nun, da sie wirklich fort war, um so mehr weh. Wie hatte das passieren können? Wie hatte sie Ava als eine solche Bedrohung ansehen können, und daher den Entschluss gefasst Janosch allein zu lassen und ihn nicht mehr zu beschützen?
Immer wieder erfassten ihn Bruchstücke, als wäre die ganze Geschichte nicht wichtig. Wichtig war aber anscheinend, dass Ava sich in der Zelle an ihn lehnte. Wichtig war, dass Ava seine Hand nahm und ihn fortriss. Fort von den Hasen, fort von dem Rot, fort von der Panik. Und dann war da noch besonders wichtig, dass er sie hatte hochgehoben. Er hatte nicht nur die Kraft besessen einen anderen Menschen zu tragen, sie hatte es auch zugelassen. Er hatte sie getragen und er war für sie beide gelaufen und es erfüllte ihn geradezu mit Stolz dies geschafft zu haben. Sie war zu den Augen geworden und er war zu den Beinen geworden und so hatten sie es gemeinsam geschafft voran zu kommen. Wohin auch immer es sie getrieben hatte und was auch immer voran gewesen war. Aber sie hatten gemeinsam funktioniert. Bis ihm die Beine versagten und Ava in seinen Schoß fiel. Bis alles zusammenbrach. Bis er sah und dann Kamille sah. Und dann Kamille beschloss ihm zu zeigen, was sie sah. Sie hatte sich auf ihn gestürzt, sie hatte sich in seinen Hals gekrallt, sie hatte ihm die Luft geraubt und ihm gedroht. Das wusste er ganz sicher. Denn er hatte sie gespürt. Die Drohung. Aber dann... sah er nur noch ihren aufgerissenen Mund, ihre Versuche zu sprechen, das Fehlen der Töne.

Mit einer dumpfen Leere im Kopf wachte er auf, schreckte aus dem Schlaf und setzte sich in seinem Bett auf. Er umklammerte sein eigenes Handgelenk und murmelte etwas zur Beruhigung, immer und immer wieder. Denn er durfte nicht schreien. Er durfte nicht schreien, denn so sehr er schreien wollte, musste er versuchen nicht aufzufallen, damit sich am Morgen die Türe öffnete und er zum Frühstück gehen konnte. Er musste zum Frühstück gehen und den Kopf gesenkt halten und etwas von dem Frühstück essen, damit er am Mittag in den grünen Raum mit dem Hängesessel gehen konnte. Und er musste in den grünen Raum mit dem Hängesessel, um Ava sehen zu können. Und nun musste er sie noch mehr als zuvor sehen. Nun wusste er, welche Panik sie dazu antrieb ihn sehen zu wollen. Sie fühlte vielleicht nicht dieselbe Panik wie er, beim Anblick und bei dem Gefühl Kamille in seinen Hals gekrallt und mit den stummen Schreien auf ihm. Aber sie spürte womöglich dieselbe Panik bei dem Wissen um die Schwärze, die Kälte, die Reise, das Rot, das Schwarz, das Weiß, die Hasen und dann diese Türe... Irritiert verstummte er, als er selbst hörte, was er selbst murmelte. Zur Beruhigung hatte er immer und immer wieder die drei Buchstaben wiederholt. A-V-A. Vielleicht war es ja das, was Kamille gespürt hatte. Die Bedeutung, die die drei Buchstaben einmal für ihn haben würden. Eine Bedeutung, die ihn dazu brachte ganz ohne Kamille einen Tag überstehen zu müssen, um einem Plan zu folgen. Die Frage war nur, ob er dazu auch im Stande war.
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BeitragThema: Re: DEAD BITE ;; DIE KAPITEL    DEAD BITE ;; DIE KAPITEL  - Seite 2 EmptySa Mai 16, 2020 5:03 pm

Irgendwann war sie eingeschlafen. Es hatte verdammt lange gedauert und Ava war immer wieder aufgestanden und wie ein Tiger durch das Zimmer geschlichen. Sie hatte mit den Fingerspitzen über die kahle Wand gestrichen. Hatte gehofft, sie würde sich verändern. Selbst das Kaninchenfell wäre ihr jetzt lieber gewesen, als diese verdammte kühle Wand, die nicht im Entferntesten zu leben schien. Sie hatte selbst dagegen geschlagen und leise geschrien. Hatte immer wieder Schimpfwörter gegen diese dämliche Wand gerufen, in der Hoffnung, dass sie sich veränderte und sie diesen Weg auch ohne Janosch fand. Vielleicht würde sie den Weg auch finden und Janosch dann zu sich holen. Aber die Wand gab nicht nach. Sie war und blieb einfach diese langweilige Wand, die Ava daran hinderte, einfach herauszuspazieren. Langsam und frustriert war sie zurück zu ihrem Bett gegangen und hatte sich unter die Decken feststeckt. Das Licht löschte sich ohne ihr Zutun und sie atmete langsam aus. Ihre Muskeln zogen sich zusammen und ihr Herz raste. Kleine Schweißtropen bildeten sich auf ihrer Stirn und sie zog die Decke über den Kopf. Dunkelheit bedeutete Gefahr. Schon immer. In der Dunkelheit kamen sie und fassten sie an, zogen sie zu sich und nahmen sich, was sie wollten. In der Dunkelheit war der Dead Bite unterwegs und zog die Menschen in sein Reich. Er zerstörte ihre Hüllen und nahm sie mit sich tief hinab. So erzählten sich zumindest die Verrückten und Ava klangen die Geschichten in den Ohren. War ihr Weg vielleicht gar nicht der Weg nach draußen gewesen?

Sie war traumlos aufgewacht. Oder sie hatte ihn schnell vergessen. Aber als die Sonne zu ihr durchdrang und durch das kleine Fenster direkt auf ihr Gesicht schien, war Avas Kopf leer und sie öffnete müde ihre Augen. Dann jedoch fuhr sie hoch. Sie sprang aus ihrem Bett und zog an der Klinke. YES! Sie hatten sie aufgeschlossen. Kurz streckte sie ihren Kopf in den Flur und sah bereits reges Treiben. Einige Schwestern liefen umher und verteilten Medikation, während andere Patienten bereits auf leisen Sohlen umhergingen. Wohin wusste sie auch nicht. Sie konnten ja schlecht wichtige Termine haben. Ava schloss die Tür hinter sich und zog sich in ihrem Zimmer um. Ein neues T-Shirt, welches genauso aussah, wie ihr vorheriges und ein neuer Tag, der ebenso war wie der vorherige.
Sie setzte sich wartend auf ihr Bett und zog an der Haut an ihren Fingernägeln und riss sie sich auf. Der feine ziehende Schmerz machte sie wach. Heute musste sie klar sein. Heute würde sie auf Janosch warten. Sie würde ihm erklären müssen, warum es ihr so wichtig war, dass er ihr zuhörte und sie verstand. Vielleicht sollte ich mir das selbst erst erklären .. Sie kannte ihn ja kaum. Sie waren vermutlich zur selben Zeit in dieser Anstalt angekommen, das wusste sie. Ein paar Mal in den Fluren oder im Speisesaal hatten sie sich auch gesehen, aber ansonsten wusste sie so wenig von ihm. War er im vierten Trakt, weil er gefährlich war? Sie lachte kurz auf. Janosch und gefährlich. Die großen fragenden Augen schwebten vor ihrem Gesicht und langsam formte sich die Gestalt des Jungen vor ihr. Stirnrunzelnd betrachtete sie den wabernden Janosch vor sich und streckte die Hand aus. Sie betrachtete die zarten Konturen seines Gesichts, was immer traurig zu sein schien, immer auf der Flucht. Seine Augen schienen am Boden geheftet zu sein, auch jetzt, wo sie ihn doch mit ihren eigenen Gedanken herausbeschworen hatte, sah er sie nicht an. Sie neigte den Kopf. Welche Kraft hatte sie zusammengebracht? Warum stolperte ihr Herz so, wenn er sie ansah? Falls er sie ansah. Warum wollte sie ihn bei sich haben? Sie waren denselben Weg gegangen. Sie hatten dasselbe gesehen, gespürt, erlebt. Aber da war noch etwas anderes.
Sie stand auf und als sie es tat, löste sich ihre Vorstellung in Rauch auf und sie stand alleine im Raum.

Eine der Schwestern hatte ihr die Medikation gebracht und solange gewartet, bis Ava ihren Mund öffnete und die Zunge nach oben hielt. Die Schwester nickte zufrieden und verließ das Zimmer, worauf Ava keine Sekunde später würgte und die Tablette ausspuckte. Sie verstaute sie unter ihrer Matratze in einer Socke. Langsam wurde die Socke schwer.
Auf leisen Sohlen ging Ava durch die Flure und hielt Ausschau nach Janosch. Aber kein Janosch war zu sehen. Nur die leeren und toten Gesichter der anderen jungen Menschen schwebten an ihr vorbei. Sie waren alle so jung. Und alle hatten sie hier bereits ihre Endstation gefunden. Es war so viel schwerer zu akzeptieren, hier sterben zu müssen, wenn man doch gerade erst ins Leben gefunden hatte. Mit bedauerndem Blick lief sie den Weg zum Speisesaal, aber auch dort konnte sie Janosch nicht entdecken. Sie stieß die Luft seufzend aus ihrer Lunge. Sie hatte gehofft, dass sie sich vielleicht schon vorher sehen konnten. Aber wer weiß, ob er sie nicht auch schon wieder vergessen hatte? Er hatte es schon einmal getan. Möglicherweise hatte er sie erneut vergessen und er würde nicht auftauchen. Dieser Gedanke lähmte sie und sie saß im Schneidersitz auf einem dieser unbequemen Plastikstühlen und löffelte den Haferschleim, der nach nichts als Pappe schmeckte.
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Janosch Ullberg
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BeitragThema: Re: DEAD BITE ;; DIE KAPITEL    DEAD BITE ;; DIE KAPITEL  - Seite 2 EmptyMi Mai 20, 2020 8:01 pm

Für einen Augenblick wünschte er sich, dass alles so war wie immer. Dass der Tag verlaufen würde, wie immer. Das Kamille da wäre, und ihn beleidigen würde, wie immer. Dass die Wärter die Zimmer aufschließen, dass Janosch in den Frühstücksaal gehen würde, dass Kamille ihn daran erinnern würde, dass er warten sollte, bis alle neben ihm aßen, bevor er aß. Dass er gänzlich ohne Zeitgefühl und ohne Aufgaben in den Tag starten würde, keine Verpflichtungen, keine unerwarteten Wendungen, Nichts. Aber es war auch ganz schön schwach, wie er wusste, sich das zu wünschen. Kamille war nicht da, Ava brauchte all die Stärke die er nur aufbringen konnte, und er selbst musste einfach solange durchhalten, bis er herausfand was er brauchte. Oder wen.

Jetzt aber war es Zeit, für alle anderen so zu tun, als wäre alles wie immer. Auch wenn es das ganz und gar nicht war. Er schob die Decke zurück, ließ beide Füße über die Bettkante zu Boden sinken und schnaufte erst einmal auf. Irgendwie machte er das immer. Einmal hatte Kamille ihn damit aufgezogen...oder vielleicht auch mehrmals. Sie hatte gemeint, dass er sich nicht so anstellen sollte. Erstens hätte er sich doch kaum bewegt - was es unheimlich unnötig machte zu Schnaufen. Und zweitens hatte er sich doch gerade erst aus seinem Schlaf aufgesetzt und damit praktisch geruht - was es ebenfalls unnötig machte zu Schnaufen. Er hatte nichts geleistet, schnaufte aber auf, als hätte er Wasserkästen in den dritten Stock ohne Treppe getragen. Er fand, dass es gerechtfertigt war, zu schnaufen. Immerhin fand er nachts kaum Ruhe und Erholung, geschweige denn tagsüber. Da konnte man schon einmal aus tiefster Seele schnaufen, um sich selbst einen kleinen Moment zu gönnen. Einen kleinen Moment um zu schnaufen, weil der Tag wieder, weil die Nacht wieder so anstrengend würde wie am Tag zuvor.

Er erhob sich, ignorierte das Knacken von Knochen, die sich wieder einrenkten, zog sich eine frische Hose an, ein frisches Shirt an, und einen frischen Pullover darüber. Er versteckte die Hände bis zu den Fingerspitzen in den Pulloverärmeln und stand in seinen Pantoffeln bereit vor der Zimmertüre, um zum Frühstückssaal zu gehen. Ein Pfleger öffnete die Türe von außen, trat ein und hielt ihm ein kleines Plastikschälchen und ein Glas Wasser hin. Er nahm beides entgegen, hielt sich erst die Plastikschale mit Tabletten an die Lippen ehe er das Glas Wasser nahm und einen großen Schluck trank. Fast hätte er vergessen, dass er die Tabletten doch nicht schlucken durfte, hatte sie sich aber aus Gewohnheit doch wieder in den Pulloverärmel gekippt, statt in den Mund. Trotzallem, verschluckte er sich vor Schreck, dass er ohne Kamille fast nicht daran gedacht hätte, und hustete erst einige Sekunden lang, ehe der Pfleger wieder ging und ihn zurückließ. Jetzt konnte er selbst ebenfalls hinaus, und seinen Auftrag erfüllen. Er schlurfte, die Augen am Boden geheftet, zum Speisesaal. Er nahm sich ein Tablett, er ließ sich seine Schüssel befüllen, er setzte sich an denselben Platz wie immer, er wartete bis drei seiner Tischnachbarn angefangen hatten zu essen, und aß dann selbst sein Mahl, wenn auch sehr langsam. Es brauchte ihn immer eine große Portion Überwindung das Frühstück zu sich zu nehmen, aber es half nichts. Normalerweise hatte er Kamille an seiner Seite, die ihn mit Sticheleien und dem Aufziehen seiner Mitmenschen ablenkte, aber nun ... musste er das selbst tun. Er dachte an die Geschehnisse in seinem Traum und stellte fest, dass darüber nachzudenken, eine ausgesprochen effektive Möglichkeit war, zu frühstücken, ohne ans Frühstück zu denken.

Als er den Teller geleert hatte, wie er erstaunt feststellte, legte er den Löffel zur Seite, saß noch eine ganze Weile schweigsam an seinem Platz. Er hatte die Hände in seinem Schoß gefaltet. Normalerweise aß er nicht alles, damit er den letzten Rest zusammen mit den Tabletten aus seinem Ärmel in den Mülleimer auskratzen konnte...nun aber musste er sich etwas überlegen. Und je länger er wartete, desto mehr Leute würden aufstehen und gehen, und die Sicht mehr und mehr auf ihn freigeben. Er griff also zögerlich nach der Servierte, tupfte sich betont langsam den Mund ab, ehe er die Tabletten hinein legte und sie zerknüllte. Hoffentlich würde seine Dummheit am heutigen Tag nicht alles gefährden. Ava zählte doch auf ihn! Und Kamille ganz sicher auch - wo auch immer sie war. Nun erhob er sich, warf die fest zusammengeknüllte Servierte in den Mülleimer, stellte sein Tablett zurück in die vorgesehenen Schuber und blickte wieder zum Boden. Einen Fuß vor den anderen setzend, schritt er so, genauso wie er den Saal betreten hatte wieder aus der großen Flügeltüre hinaus auf den Flur. Ohne sich umzublicken. Ohne irgendwen anzusehen. Ob er Ava hätte sehen können?
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BeitragThema: Re: DEAD BITE ;; DIE KAPITEL    DEAD BITE ;; DIE KAPITEL  - Seite 2 EmptyMi Mai 27, 2020 7:33 pm

Ava hatte alle Mühe, den Haferschleim herunterzuwürgen. Nicht nur, dass ihr Frühstück wie immer nach nichts als recyceltem Papier schmeckte, sie spürte auch eine längst vergessene Aufregung in der Brust. Früher war sie vor und bei Klausuren so aufgeregt gewesen oder bei großen Events, zu denen sie widerwillig gehen musste. Aber hier ging es um etwas weitaus Wichtigeres und das machte dieses Gefühl nicht leichter erträglich. Sie ließ den Löffel neben den Teller auf das Tablett fallen und blies die Backen auf. Wie sollte sie das hier überhaupt runterwürgen, ohne krank zu werden? Sie verschränkte die Arme vor der Brust und hob ihren Kopf. Ihr Blick glitt über die Köpfe der jungen PatientInnen hinweg und sie musterte all jene, die entfernt wie Janosch aussahen. Jeder blonde Schopf hielt sie ein wenig in ihrem Beobachten auf. Und fast hätte sie den einzig wichtigen blonden Kopf verpasst. Gerade noch so sah sie den schlaksigen Körper um die Ecke gehen – sein Blick wie immer auf den Boden geheftet. Ava fluchte leise und presste die Lippen aufeinander. War er schon die ganze Zeit hier gewesen? Wenn man alle Menschen gleich kleidete und sie alle den gleichen gebrochenen Blick hatten, verschwand ein Einzelner in dieser Menge, egal wie wichtig der Einzelne für eine andere Einzelne war. Aava sah herunter und spürte, wie ihr Herz laut in ihrem Brustkorb klopfte. Es klopfte so laut, dass sie ihre Hände auf die Stelle legte und hoffte, dass das Geräusch nicht nach außen drang. Aber auch in ihren Ohren rauschte das Blut und sie wollte ihm hinterhersprinten. Ich darf nicht auffallen. Rennen fällt auf. Sie nahm also stattdessen das Tablett in die Hand und stand vom Tisch auf. Sie bemühte sich um lockere und desinteressierte Bewegungen, sah aber aus den Augenwinkeln, wie ihre Fingerknöchel weiß hervortraten. Sie hatte ihn verpasst. Sie waren im selben Raum gewesen und sie hatte ihn einfach nicht gesehen. Nachlässig schob sie das Tablett mit dem halb aufgegessenen Haferschleim in einen der Tablett-Wägen und ging dann im Eilschritt zum Ausgang des Speisesaales. Im Gegensatz zu Janosch hatte sie ihren Hals gestreckt und versuchte über den Strom an herausgehenden Menschen seine blonden Haare zu erblicken. Aber nichts. Ava spürte, wie sich ihre Muskeln verkrampften. Mit der Ellbogen-Mentalität eines Musterstudenten schob sich Ava durch die Massen und erst als sich der Ansturm lichtete, hatte sie genug Platz, um loszulaufen.

Scheiß auf die Wärter. Scheiß auf alle. Wenn Ava rennen will, dann rennt sie. Sie lief instinktiv den Weg zu dem Gemeinschaftsraum. Und tatsächlich. Sie sah Janosch vor sich und aus einem Impuls heraus, sprang sie auf ihn zu, getrieben von der Freude, wenigstens etwas geschafft zu haben und schlang ihre Arme um seinen Oberkörper. „Janosch! Du hast mich nicht vergessen“, japste sie euphorisch. Woher sie den Zusammenhang zwischen seinem Aufenthalt hier und dem Zustand, er hätte sie nicht vergessen, festmachte, konnte sie sich selbst nicht erklären. Aber er musste sie noch kennen, wenn er ausgerechnet in diesen Gemeinschaftsraum hereingehen wollte. Es konnte kein Zufallen sein. Und dieser Nicht-Zufall erfüllte sie zum ersten Mal seit Tagen mit einem unkontrollierbaren Gefühl von Freude. Sie hatte ihre Mission erfüllt. Die erste von vielen. Sie hatte Janosch aufgespürt und gefunden und jetzt war sie hier und sie waren sich so nah. Ein freudiges Kribbeln breitete sich auf ihren Armen aus. Doch sein Körper spannte sich an und Ava stockte ein wenig in ihrer Freude. Sie brauchte einen Moment, zu verstehen. Sie berührte jemanden. Sofort ließ sie die Arme sinken und ging einen Schritt zurück. Sie hatte ihn berührt und sich nicht einmal Gedanken darüber gemacht. Und jetzt breitete sich ein  anderes und ebenso drückendes Gefühl auf ihr auf. Schuld? Sie fühlte sich schlecht und scharte mit der Fußspitze auf dem Boden und sah Janosch entschuldigend an. Aus ihren großen braunen Augen sah sie zu ihm und biss sich auf die Unterlippe. „Du hast mich nicht vergessen, oder?“
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Janosch Ullberg
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BeitragThema: Re: DEAD BITE ;; DIE KAPITEL    DEAD BITE ;; DIE KAPITEL  - Seite 2 EmptyDi Jun 09, 2020 12:00 am

Es war schwierig für ihn, den Weg zum Gemeinschaftsraum auszumachen. Sonst war er immer eher zufällig dort gelandet, weil Kamille ihn dorthin gelotst hatte, oder aber genügend Leute in die gleiche Richtung geströmt waren, denen er bloß gefolgt war. Jetzt aber musste er selbst den Weg finden, denn er hatte keine Zeit nur den Anderen zu folgen und zu hoffen, am richtigen Ort auszukommen. Auch keine Kamille sprang neben ihm her, schlug ihn auf die immer gleiche Stelle an der Schulter und trieb ihn geradezu, wie ein Schaf. Ja das war eine ausgesprochen treffende Beschreibung. Auf eine gewisse Art und Weise, war er ein Schaf. Und Kamille war ganz sicher kein Schäfer, aber ein Hütehund. So nannte man die doch? In seiner Vorstellung waren das wirklich schöne Hunde, die aber einen großen Freiheitsdrang hatten und eine Aufgabe brauchen. Und das passte gut zu Kamille. Er konnte sich auch vorstellen, dass sie ihn das eine oder andere Mal einfach in eine Richtung scheuchte, ganz einfach, weil sie es wollte und weil ihr langweilig war. So war es ja auch tatsächlich, aber jetzt in der Vorstellung eines Hundes fragte er sich doch, ob er einem Hund anmaßen wollte aus Langeweile Schafe zu scheuchen. Ob er einem Hund zutrauen wollte eine gewisse Gehässigkeit zu haben, oder Launenhaftigkeit. Zumindest genug, um aus reinem Spaß am Moment Geschöpfe in eine Richtung zu lenken, in die sie ohne ihn nicht gegangen wären. Nein. Hunde waren zu nett. Er hatte zwar schon sehr lange Zeit über keinen echten Hund mehr gesehen, aber immerhin im Fernseher, wenn in den Gemeinschafträumen ab und an ein Film gezeigt wurde, oder ein paar der Insassen, die ihr Oberstübchen besser beisammen hatten als er selbst. Seltsamer Ausdruck...Oberstübchen.

Noch während er darüber nachdachte, was das Unterstübchen beinhaltete, und warum ein Unterstübchen offensichtlich viel mehr Raum einnahm als ein Oberstübchen, wurde sein Unterstübchen grob an der Schulter angerempelt. Oh oh. Das könnte seinen Plan den Gemeinschaftsraum aufzusuchen vereiteln. Sehr langsam hob er den Kopf an, um von dem grün-grau und leicht vergilbten Klinikboden aufzuschauen und zu erfassen, was gerade passiert war. Stand jemand vor oder neben ihm und starrte ihn an? Erwartete eine Regung? Eine Entschuldigung für ein Fehlverhalten, dass er wie immer nicht begangen hatte? Mit irritiertem Blick sah er geradewegs in das kalte Gesicht der Wand. Er hatte eine Kurve wohl etwas zu scharf genommen und war vielleicht instinktiv einer reellen Gefahr ausgewichen...aber nun erübrigte sich immerhin die Sorge um weitere Möglichkeiten, wie er sein Ziel nicht erreichen konnte. Und jetzt, da er den Blick gehoben hatte, stellte er außerdem fest, dass seine Reise erfolgreich gewesen war. Überaus überrascht über seinen Erfolg blickte er regungslos in die Richtung des Gemeinschaftsraums. Wie hatte er das geschafft? Hatte das sein Oberstübchen geschafft, ohne dass er selbst wirklich viel davon mitbekommen hatte? Oder war das vielleicht...vielleicht...vielleicht und nur...vielleicht...doch etwas anderes gewesen? Nun. Jetzt war er da. Was jetzt? Sie wollten sich hier treffen. Aber sollte Janosch hinein gehen? Er konnte einige Geräusche vernehmen, also wären sie sicher direkt unter Beobachtung, und da zumindest er ansonsten eher den Kontakt zu anderen vermied, wollte er nicht, dass sie gleich einem Wärter auffielen, weil er genau das nicht tat. Er könnte sich ruhig auf eine Bank setzten. Vielleicht würde sie sich auf das andere Ende der Bank setzten. Und dann konnten sie sich ganz leise unterhalten, und das würde auch die Wächter nicht aufmerksam auf sie machen, wenn sie sich Bücher nahmen, oder vor den Fernseher setzten, oder aus dem Fenster sahen...

Aber ihm wurde die Entscheidung abgenommen. Und in dem Moment in dem er das begriff, war er sogleich dankbar dafür. Er war wirklich nicht gut darin Entscheidungen zu treffen. So zum Beispiel auch die Entscheidung, ob es angemessen wäre, ihre Umarmung zu erwidern. „Janosch du hast mich nicht vergessen!“, japste Ava als sie ihre Arme um seine Brust schlang. Er atmete sogleich ihren Duft ein, völlig perplex und doch von Gefühlen übermannt, die er gar nicht einzuordnen wusste. Er hatte die Arme gehoben, ganz langsam und war gerade auf dem Weg sie um sie zu legen. Aber er war sich nicht sicher. Sie hatten einander bisher doch nie wirklich gesehen, oder? Sicher. Er fühlte sich ihr so vertraut, wie er sich nur Kamille gegenüber fühlte, aber doch wusste er nicht, wie sie sich nun verhalten sollten. Nein. Eigentlich wusste er bloß nicht, wie man sich verhielt. Wie sich normale Menschen bewegten. Wann man mit wem Intimitäten teilte und ab wann Intimität eine Bedrohung darstellte. War eine Umarmung schon eine Andeutung von Intimität? Womöglich war es eher eine Steigerung eines Handschlags. Eine Verbindung wurde geschaffen. Sie verband etwas. Und wie sie etwas verband! „Du hast mich nicht vergessen, oder?“ Sofort richtete er seine etwas zusammengefallene Statue wieder auf. Eben noch hatte er die Arme angewinkelt und darüber nachgedacht, ob er sie an ihren Rücken legen sollte und wenn ja ob es angemessen war. Und er hatte noch immer keine Antwort. Aber jetzt ließ er die Arme wieder hängen und nickte mit einem für ihn unüblich ernstem Ausdruck. „Ja.“ Dann aber schlich sich der wieder typische Ausdruck in sein Gesicht. Leichte Verwirrung – aber diesmal begleitet von einem ganz leichten Lächeln. Leicht zu übersehen. Aber vorhanden! „Das heißt nein. Also ja. Also...chrm. Ich habe dich nicht vergessen. Ich habe dich überhaupt nie vergessen...ich habe nur...ich brauchte Zeit.“, erklärte er sich mit leiser Stimme und entschuldigend gehobenen Händen. „Ich habe nichts vergessen. Ich habe gar nichts vergessen.“, nickte er bekräftigend. „Aber ich verstehe nicht, was das bedeutet.“, gab er etwas zerknirscht von sich und fuhr sich leicht über das Kinn. Einen Moment lang hatte er überlegt sie an der Schulter zu berühren...aber nachdem er es nicht einmal geschafft hatte die Umarmung zu erwidern, war das ganz sicher unangebracht. Ausgesprochen ruhig und fast geerdet blickte er sie fragend an. Hatte sie mehr Antworten für ihn? Oder einen Plan?
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Ava Litchmore
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BeitragThema: Re: DEAD BITE ;; DIE KAPITEL    DEAD BITE ;; DIE KAPITEL  - Seite 2 EmptyDi Jun 16, 2020 8:23 pm

Für einen kurzen Moment hatte Ava erwartet, dass er vor ihr zurückweichen würde. Sie hatte sich ihm wie eine Verrückte an den Hals geschmissen und Sinnlosigkeiten vor die Füße geworfen. Ein jeder normaler Mensch hätte Abstand genommen, sie abschätzig angeblickt und sich vorgenommen, nie wieder einen Fuß in ihre Nähe zu setzen. Aber nicht Janosch. Nicht ihr Halt. Und wie konnte er dieses nervige impulsive Mädchen auch vergessen, nachdem sie gestern minutenlang an seinem Fenster gehangen und ihn dazu gedrängt hatte, hier aufzutauchen? Sie war immer so viel. Viel zu viel. Wenn Ava etwas war, dann war sie es immer in Extremen. Extreme Wut, extreme Angst, extreme Freude. Extrem traurig, extrem tödlich. Und auch jetzt hatte sie sich über die reine Anwesenheit des jungen Mannes so gefreut, dass ihr Herz fast aus ihrer Brust heraussprang. Sie wollte sofort ans Werk gehen – sofort verschwinden, ihre Flucht kopflos durch die Wand auf der Stelle beginnen.
Als sie sich von ihm gelöst hatte, stand sie einen halben Schritt vor ihm und blickte Janosch erwartungsvoll ins Gesicht. Ihre Augen suchten nach dem kleinsten Erkennen und als dieses aus seinem Mund sprang, strahlten ihre Augen auf und ein breites Grinsen bildete sich auf ihrem Gesicht. Die Freude stieg ihr bis zum Hals, nahm ihr die Luft für einen kurzen Moment und sie hatte alle Mühe, ein euphorisches Japsen zu unterdrücken, als Janosch ernstes „Ja“ aus seinem Mund sprang und ihre Hoffnung entfachte. Auch sein nachfolgendes Gestotter konnte sie in ihrer Freude nicht ausbremsen und so ergriff sie seine Hand, die er noch zuvor entschuldigend vor sich gehoben hatte. In ihren Augen flammte es auf. „Ich habe nichts vergessen. Ich habe gar nichts vergessen“, machte er noch einmal deutlich und Ava hatte das Gefühl, die Freude in ihrem Herzen würde sie ein für alle Mal in Stücke reißen. Ein ziehender Strom raste durch ihren Körper und Gedanken formten sich in Windeseile hinter ihrer Stirn. „Zeit. Die haben wir nicht mehr. Gut, dass du dich wieder erinnerst. An alles?“ Während Janosch es gelang, ruhig und besonnen zu bleiben, spürte Ava einen gewaltigen Druck in der Brust, den sie nicht kontrollieren konnte. Der sie kontrollierte. Und bevor er antworten konnte, sah sie sich im Gang um und lief mit einem Mal los, zog Janosch hinter sich her. Sie brauchten einen ruhigen ungestörten Raum und Ava hatte bereits eine Idee.

Sie mussten nicht lange laufen, da riss Ava eine unscheinbare Tür auf und stieß Janosch sanft in einen dunklen Raum. Keine Fenster waren in die kalten Wände eingelassen und nur eine kleine kahle Lampe erhellte den Raum, nachdem Ava die Tür hinter sich geschlossen hatte und sich an das leblose Metall gelehnt hatte. An manchen Tagen gelang es ihr, ihre Umgebung zu erkunden. Wenn sie geschickt genug war, den Wärtern und den Pflegern auszuweichen und durch die Schatten durch die Flure zu huschen, gelang es ihr auch, den ein oder anderen unbenutzten Raum zu entdecken. Ihre Neugier kam ihr jetzt zugute. Sie standen in einem Abstellraum, der voll gestellt war mit Stühlen und Tischen, aber außer diesen traurigen Möbelstücken nur noch Ava und Janosch beherbergte. Eine traurige Einrichtung, aber perfekt für ihren Zweck. „Wir haben vielleicht eine Stunde, bis die Wärter nach uns suchen“, keuchte sie etwas. Das Rennen hatte ihren untrainierten Körper bereits beansprucht und sie konnte spüren, wie ihre Muskeln sich zusammenzogen. Sie brauchte einen Moment, um ihre Atmung wieder auf ein gesundes Level zu zwingen und weil ihr jetzt auch niemand ihr wertvollstes Gut entwenden konnte, band sie ihre schwarzen Haare mit dem ausgeleierten Haargummi zu einem wilden Dutt zusammen und ließ sich dann langsam an der Tür auf den Boden hinabgleiten und sah Janosch erwartungsvoll an. „An was kannst du dich erinnern? An die Kaninchen, an das Wasser und die Gummizelle?“ Sie musste unbedingt wissen, ob sie das alles nur geträumt hatte oder ob Janosch die gleichen Dinge erlebt hatte. Mit ihr. Ob er die gleiche Angst gefühlt hatte und die gleiche beruhigende Wärme, wenn sie sich an den Händen gefasst hatten. „Wenn .. wenn das alles echt war. Dann gibt es einen Weg zurück dorthin“, begann sie mit ernstem Ton und biss sich auf die Unterlippe. „Wenn das alles wirklich so passiert ist, dann gibt es auch diese Tür. Dahinter war der Weg nach draußen, ich weiß es. Ich konnte es spüren. Hier gibt es diesen Weg nicht, nicht für uns, nicht lebend. Aber wenn wir es schaffen, zurück in diese Welt zu gelangen, dann können wir diese Tür finden und durch sie von hier verschwinden. Egal wohin. Hauptsache hier raus.“ So viele Wörter hatte sie lange nicht mehr aneinandergereiht und so spürte sie ein schwaches Kratzen im Hals, als sie geendet hatte. Aber es war so wichtig, dass sie sprach und dass er zuhörte. Es war von höchster Wichtigkeit, dass er verstand, wie wichtig ihr das hier war. Sie verlor langsam den Verstand und je länger sie zögerten, desto weniger von ihrem Verstand blieb übrig, um diesen waghalsigen Plan, der noch gar kein Plan war, in die Tat umzusetzen. Und sie selbst hatte ja auch gar keine Ahnung, wie man zurück in diese Welt kam. Sie waren in ein Loch gestoßen worden – wie Alice in das Kaninchenloch gefallen war. Aber sie konnten nicht einfach wieder in dieses Becken springen und erwarten, in der Gummizelle aufzuwachen, so viel wusste auch Ava. Vielleicht war sie irre, aber völlig ohne Logik blieb auch ein Irrer nicht. Sie legte die Stirn in Falten. War Alice nicht bei ihrem zweiten Versuch durch einen Spiegel ins Wunderland gelangt? Wenn das Tauchbecken ihr Kaninchenloch war, dann musste sie nur den Spiegel finden und durch ihn hindurch zurück zu ihrem Weg finden. Ein Spiegel sollte einfacher zu finden sein, als ein Kaninchenbau. Aber diese Gedanken waren noch so unfertig, dass sie Janosch nicht damit belästigen wollte und so biss sie sich so lange auf die Zunge, bis andere Gedanken in ihrem Kopf aufkamen. „Die Wärter mit den weißen Augen .. die haben uns dorthin gebracht, irgendwie. Wenn wir verstehen, was sie sind .. und wie sie das gemacht haben ..“, murmelte Ava wirr vor sich hin und biss sich auf den Daumen. Sie musste nachdenken. Und sie hatten so wenig Zeit.
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Janosch Ullberg
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BeitragThema: Re: DEAD BITE ;; DIE KAPITEL    DEAD BITE ;; DIE KAPITEL  - Seite 2 EmptyMi Jul 29, 2020 10:00 pm

Er war es nicht gewöhnt. Nun, streng genommen hatte er nicht viele Routinen und war nicht viel gewöhnt. Selbst Kamille hatte Launen wie ein Fähnchen im Wind. Aber immerhin war das ein bisschen, wenn auch auf verdrehte Weise, normal. Aber das hier war er nicht gewöhnt. Er war nicht gewöhnt, sich so viel merken zu müssen, was wie in einem Traum über ihn gekommen war. Er war es nicht gewöhnt auch nur länger als einen Tag ohne Kamille an seiner Seite auszukommen. Er war es nicht gewöhnt, sich so unauffällig wie möglich an Orte in der Klinik zu schleichen. Er war es nicht gewöhnt, umarmt zu werden, ganz gezielt nach jemandem Ausschau zu halten und irgendwo auch Freude zu empfinden. Bei der Berührung, bei dem Wiedersehen, bei ihrer Erleichterung. Nur, um darauf wieder überrumpelt zu werden. Nein er war das nicht gewöhnt. Selbst im Vergleich mit Kamilles Launenhaftigkeit, war es ganz sicher, definitiv, und absolut nichts, an das er gewöhnt wäre. Nope.

Genauso gut konnte man auch aufzählen, dass er es nicht mehr gewöhnt war sich schnell zu bewegen. Für gewöhnlich war es sicherer sich langsamer zu bewegen. Er verließ sich auf Kamilles Anweisungen, und Leute die langsam gingen wurden einfach überholt und übersehen. Das war wichtig. Übersehen zu werden hatte sich als überlebenswichtig herausgestellt. Er wollte in keine Prügelleien verwickelt werden, besonders weil er sich nicht wehren konnte. Er wollte nicht angesprochen werden, weil er nicht gut darin war, die richtigen Worte zu wählen. Er wollte nicht beobachtet werden, weil sich dann Leute über ihn und Kamille lustig machten, was Kamille aufregte und regelmäßig zu Situationen führte, in denen er gefährlich nahe einem vorzeitigen Ende kam. Entweder, weil sein Körper so geschunden würde, dass er bereit war aufzugeben. Oder aber dadurch, dass er in die Einzelzellen geschickt würde, in denen der Dead Bite lauerte. Nichts an allem was gewöhnlich war, war besonders schön, aber es war wichtig. Und jetzt war alles was ungewöhnlich war, noch viel unschöner, weil es ihn geradezu in einen stetigen Zustand der inneren Unruhe bis hin zur Panik versetzte - bis er bei Ava sah. Dann war immerhin die Panik weg, und es blieb nur die Unruhe, die immer auch eine große Unsicherheit mit sich brachte. Legte man die Arme um jemanden, den man zwar nicht kannte, vermutlich aber sehr mochte, irgendwie ein großes Geheimnis teilte, und von dem man umarmt wurde? Woher sollte er das wissen? Folgte man jemandem, der nach diesem Fiasko ein Gefühl der Unsicherheit zurückließ und sogar leichtes Bedauern folgen ließ, weil man nicht die Arme um ihn gelegt hatte, wenn er einen ohne Vorwarnung mit sich riss und man hinterherstolperte? Man hatte zumindest keine Wahl es nicht zu tun. Aber stören tat ihn das wenig. Er war es gewohnt, dass ihm viele Entscheidungen abgenommen wurde. So hinterfragte er zu keiner Zeit, ob das eine gute Idee war, ob er gleich den Fußboden küssen würde, weil seine Füße vergessen hatten wie es war sich im gehetzten Gang aus dem Weg zu gehen und doch vorwärts zu steuern... Und er fragte sich auch nicht, ob er stehen bleiben sollte. Wozu auch?

Ava war, ohne dass er mehr als ihren Namen und die Nummer ihrer Patientenakte kannte, ein Anker für ihn. Sie war da, wo Kamille gerade nicht sein konnte, oder wollte. Sie war da, um ihm seine Panik zu nehmen. Und sie war entschlossen für sie beide, einen Weg zu finden. Einen Weg hinaus. Aber zuerst fand sie einen Weg hinein. In einen Raum, den er zuvor noch nie gesehen hatte. Wie auch? Der Eingang war nicht in den Fußboden eingelassen und er hatte weder eine Sitzung noch eine Übung in diesem Raum gehabt. Fasziniert beobachtete er, wie Ava geradezu zum Leben erwachte. Sie atmete tief ein und kam wieder zur Ruhe, wirbelte ihre Haare in einer merkwürdigen Kunst herum und band sie dann zusammen. Absolut faszinierend! Und dann ließ sie sich zu Boden sinken. Einfach so. Ganz natürlich. Für einen Augenblick schloss er die Augen. Er spürte selbst, wie groß sein eigener Dachschaden war, dass er solch alltägliche Gesten kaum mehr wahrnahm, so dass sie ihn nun gerade zu verblüfften. Vielleicht gehörte er hier her. Mehr, als hinaus. Aber er konnte Ava helfen hinaus zu kommen, wenn es nur irgendetwas gab, dass er tatsächlich tun konnte. Also setzte auch er sich schließlich, deutlich unkoordinierter und mit einem Ausdruck der puren Scham im Gesicht. Er konnte ihr kaum in das erwartungsvolle Gesicht schauen, als er antwortete. „Kamille hat uns in dem Wasser geholfen - denke ich.“, begann er zögerlich um seine Seite der Geschichte darzulegen. „Du warst nicht mehr bei dir, schätze ich, aber ich habe dich gesehen und deine Hand gegriffen und Kamille hat uns eingehüllt. Konntest du das spüren?“, gab er bedächtig von sich. Er bemühte sich sichtlich verständliche Sätze zu bilden und dabei so direkt beim Thema zu bleiben wie möglich. Er musste die Zeit, die ihnen blieb, unbedingt nutzen. „Und dann... wir waren in der Zelle, in der Dunkelheit, in dem Licht, zwischen den Kaninchen...ich erinnere mich wie ich dich getragen habe, aber nicht sehen konnte, aber du hast gesagt-“, gab er dann von sich und kam zu dem Entschluss, dass Ava sich ohnehin an alles erinnerte, dann auch an das, was sie zu ihm gesagt hatte. Sie meinte es wirklich ernst, er spürte geradezu wie wichtig es ihr war, wie sehr sie darauf brannte, diese Einrichtung zu verlassen. Und er verstand sie. Es war ein todbringender Ort, ein trostloser Ort, einer der einem den Charakter, die Seele, die Freude und die Gefühle austrieb. Er zog Energie, wo er konnte und verwandelte sie in gefährliche Momente. Man konnte jederzeit sterben und nicht einmal davon träumen, was Freiheit bedeutete. Aber sie tat es. Aus irgendeinem Grund hatte sie nicht aufgegeben. Und jetzt schien sie Bestätigung gefunden zu haben, dass es nicht grundlos gewesen war, dass es einen Weg gab. Und er wollte, dass sie die Freiheit wiederbekam. Wie wunderschön und faszinierend sie erst sein musste, wenn sie ihre Energie selbst spüren konnte, wenn sie sie selbst sein konnte. Einen Augenblick schien sie in Gedanken verloren, und Janosch gab ihr nur zu gern den Raum, den sie brauchte. Das gab ihm wiederrum Zeit sich umzuschauen, und auch sie anzusehen. Forschend betrachtete er ihre Gestalt aufmerksam, wollte sich genau einprägen wie sie aussah, um sie überall wiedererkennen zu können. Und dann war da noch dieser Raum, den sie gefunden hatte, von dem sie wusste, obwohl Janosch ihn noch nie gesehen hatte... Jetzt wo Kamille nicht mehr selbstverständlich an seiner Seite war, wurde es vielleicht Zeit damit anzufangen. Sich umzuschauen. Aufzupassen. „Die Wärter mit den weißen Augen...die haben uns dorthin gebracht, irgendwie. Wenn wir verstehen, was sie sidn...und wie sie das gemacht haben...“, meinte sie und biss sich auf den Daumen. Und Janosch musste aufkeuchen. Was zur Hölle. Moment mal! Beißen? „Ava!“, meinte er geschockt und erhob sich. Auf einmal verspürte er so viel Energie, wie schon lange nicht mehr - Energie, mit der er nichts anfangen konnte. Deshalb blieb ihm nur übrig die Füße zu bewegen während er sich an einen Tisch lehnte und auf seine Hände starrte, die er in der Luft hielt, als hätte er seine Idee genau gehalten. „Der Dead Bite. Leute sterben. Nummern verschwinden. Was auch immer wirklich ist, die Nummern verschwinden. Ich habe es gesehen. Was wenn das sein Reich ist?“, meinte er dann und runzelte die Stirn und zog die Augenbrauen zusammen. Für seinen gewöhnlich eher müde und abwesenden vielleicht erschrockenen Gesichtsausdruck war dies ein ungewöhnlicher Anblick. „Es findet regelmäßig einen Weg hier her, und er kann hier reale Dinge tun. Wir haben einen Weg gefunden und konnten Dinge tun, die Auswirkungen hatten. Was wenn wir in seiner Welt waren, Ava?“, meinte er und sah direkt zu ihr. „Aber wir sollten auf keinen Fall in die Gummizellen. Wenn wir in seiner Welt waren, und er in unserer Welt, dann haben wir jetzt eine Gemeinsamkeit. Und für mich ist das ein Grund anzunehmen, dass wir viel einfacher für ihn zu finden sind. Was immer wir tun, ich glaube nicht, dass die weißen Augen, die Kaninchen, oder der Dead Bite vorhatten uns einen Weg in die Freiheit zu zeigen. Ich glaube, das war ein Fehler.“, meinte er und fühlte sich regelrecht erschöpft. So viel zu denken, so viele Eindrücke, so viele Empfindungen, so viele Wörter. Er kam gleichzeitig in Fahrt, wie er ausgelaugt war.
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Ava Litchmore
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BeitragThema: Re: DEAD BITE ;; DIE KAPITEL    DEAD BITE ;; DIE KAPITEL  - Seite 2 EmptyFr Nov 06, 2020 3:32 pm

Ava wartete mit einem erwartungsvollen Blick, sah zu Janosch hoch, der sich noch nicht ganz gesammelt hatte. Seine Wangen waren rot und seine Haare standen wirr von seinem Kopf ab. Ava konnte seinen Blick nicht deuten, aber auch vor allem, weil er ihn immer wieder senkte und Ava ihn verlor. Er hatte vermutlich genauso wenig Übung im Rennen und Pläne schmieden. Hier wurde einem schließlich auch jegliche Entscheidung abgenommen. Das Essen wiederholte sich ständig und an keinem Tag hatte man die Wahl, welches ungenießbare Zeug man sich mit Löffeln oder viel zu stumpfen Gabeln in den Mund schaufelte. Die „Therapie-Zeiten“ waren fest, jede Woche waren es die gleichen Gesichter, jede Woche die gleichen Rituale. Es machte es noch viel schwieriger zu wissen, wie lange man schon hier war, wenn jeder Tag, jede Woche identisch war. Sie versuchen uns die Zeit zu stehlen, weil es das Einzige ist, was bleibt. Eigentlich. Ich könnte schwören, ich bin seit Jahren hier. Oder seit gestern. Man trug die gleiche Kleidung, tagein und tagaus, es war stetig die leichte Jogginghose und entweder ein einfaches T-Shirt oder ein einfaches Sweatshirt. In Avas ersten Woche hatte sie die Hosenbeine zerrissen. Sie hatte das Gefühl gehabt, sich von diesem Stoff befreien zu müssen, ihre Beine zu zeigen, die voller Blessuren und Schnitte waren, die nicht von ihr stammten, die niemals von ihr stammten. Aber wegen ihren eigenen Schnitten war sie hier und wegen ihrer eigenen Angst und Panik musste sie nun mit Janosch einen Weg hier rausfinden. Raus. Dort draußen wartete nichts auf sie. Sie hatte niemanden. Sie hatte auch zuvor niemanden, aber jetzt hatte sie nicht einmal mehr den Ort, an dem sie so etwas wie Ruhe finden konnte. Aber war es nicht egal, was da draußen auf sie wartete? War es nicht egal, wohin man floh, wenn man die Hölle verließ? Ava sah gespannt zu Janosch auf, nachdem sie ihm ihre Überlegungen vor die Füße geworfen hatte. Er setzte sich ebenfalls hin, etwas ungelenk, etwas holprig, als wären es viel zu viele Ideen aus Avas Mund, die es jetzt schwer machten, einen Platz auf dem trostlosen Boden zu finden. „Kamille hat uns in dem Wasser geholfen - denke ich.“, begann er zögerlich und Ava lauschte aufmerksam. Ihr Blick musterte das Gesicht von Janosch. Die Zeit schien hier wirklich nicht ganz richtig zu funktionieren. Sie hatte das Gefühl, dieses Gesicht schon einmal gesehen zu haben. Vor langer langer Zeit. „Du warst nicht mehr bei dir, schätze ich, aber ich habe dich gesehen und deine Hand gegriffen und Kamille hat uns eingehüllt. Konntest du das spüren?“, riss er sie aus ihren Gedanken und das Gefühl verpuffte mit einem Mal. Ava schüttelte kaum merklich den Kopf. Dieser Ort machte sie wirklich verrückt. Sie hatte Janosch noch nie zuvor gesehen. Nicht bevor sie hier gelandet war. „Kamille ... Ich verstehe diese Kamille nicht. Ist, ist sie einen von ihnen, wenn ich sie nicht sehen kann?“, fragte Ava zögerlich. Wie sollte sie auch wissen, ob es Kamille gab oder nicht? Sie konnte sich nicht an jemand anderen als Janosch erinnern. Da waren nur sie beide im Wasser und bevor der letzte Funken Bewusstsein verschwunden war, hatte sie ihn gesehen. Nur ihn. „Ich habe dich gesehen. Ganz kurz. Bevor alles schwarz wurde. Ich dachte, ich sterbe. Aber das sind wir nicht. Und ich dachte, das liegt an dir.“ Ava rutschte näher zu Janosch heran, hing an seinen Lippen, als er weitererzählte. So viel hing von seinen Worten ab. Würde er ihr eine andere Geschichte erzählen, eine die nicht ihre war, war klar, dass der ganze Kampf umsonst war. Dass sie nur zwei Verrückte waren, die nebeneinander umher spannen. Und, dass dieser Ort doch genau der Richtige für sie war. Und das wollte sie nicht akzeptieren. „Ich habe gesagt, dass wir weitergehen müssen, dass da hinten eine Tür ist. Ich war die Augen und du der Körper“, ergänzte sie. Es gab keinen Zweifel mehr daran, dass sie das Gleiche erlebt hatten. Sie konnten nicht die gleiche Wahnvorstellung haben. Es konnte nicht erfunden und erlogen sein, zusammengesponnen. Avas Bernsteinaugen leuchteten auf. Das fahle Licht der kahlen Lampe flackerte ein wenig und beleuchtete die beiden jungen und doch so müden Gesichter lustlos. Sie sah, dass Janosch ihr aufmerksam zuhörte. Nachdem sie geendet hatte, biss sie sich auf den Daumen, sah zu Janosch, fragend und unsicher. Würde er ihre Ideen für verrückt halten? Natürlich, aber .. Janosch sprang mit einem Mal auf und Ava tat es ihm fast instinktiv nach. Sie hatte selten so viel Energie in ihm gesehen. Es zog sie mit. In seinem Kopf schien es zu rattern und Ava gab ihm diesen Raum, drückte sich an die gegenüberliegende Wand und hielt die Handflächen an dem kühlen Material, während er die Luft in seinen sanften Händen hielt. Wie eine aufmerksame Katze beobachtete Ava seine Bewegungen. Sie waren so ungeübt, so ungelenk, als hätte er schon längst aufgegeben, seinen Körper kontrollieren zu wollen. Als hätte er ihm so selten den Rücken gestärkt, dass er es gar nicht mehr wert war, kontrolliert zu werden. Ava verstand ihn. Ihr Körper war so selten ihr eigener gewesen, dass sie ihn gehasst hatte, jahrelang. Man hatte sie berührt, man hatte sich genommen, man hatte ihn verändert mit Schnitten und blauen Flecken. Lange war es nicht Avas Körper gewesen. Erst als sie sie ihre eigene Entscheidung traf, ihre eigene Schnitte nutzte, hatte sie ihn wiederbekommen. Freiheit gegen Körper. Das war okay, irgendwie. Aber jetzt wollte sie beides. „Der Dead Bite. Leute sterben. Nummern verschwinden. Was auch immer wirklich ist, die Nummern verschwinden. Ich habe es gesehen. Was wenn das sein Reich ist?“ Erneut riss Janosch sie aus ihren Gedanken und sie war dankbar. Beinahe hätte sie sich in Erinnerungen verstrickt. Ava legte den Kopf schief und nickte bedächtig. „Hmmm ..“, brummte sie leise und strich sich eine widerspenstige Strähne aus den Augen. Janosch breitete seine Idee weiter aus und ein ungewöhnlicher Ausdruck trat auf sein Gesicht. Sie hatte ihn noch nie dort gesehen – aber auf der anderen Seite hatte sie Janosch auch nicht unbedingt oft gesehen. Nicht, dass sie sich erinnerte. Ein vages Gefühl versuchte in Avas Herz anzuklopfen, aber sie schob es schlichtweg fort. Und mit jedem weiteren Wort von Janosch wurde dieses Gefühl immer unwichtiger. Dass, was er zuerst zögerlich und dann doch mit Energie sagte, ließ Ava noch mehr strahlen. Ihre Muskeln spannten sich an und sie stieß sich leicht von der Wand ab, ging auf Janosch zu und legte ihm mit voller Stolz die Hände auf den Schultern, grinste ihm entgegen. „Das. Ist. Genial.“ Ihre Worte waren fest und sie hatte das Gefühl, Janoschs Gesicht in die Hände nehmen zu müssen und ihn zu küssen. Aber sie tat es nicht. Natürlich nicht. Könnte sie Janosch Worte küssen, hätte sie es ohne zu zögern getan. „Wenn der Dead Bite zwischen den Ebenen springen kann, dann konnten wir das auch, irgendwie. Es ist egal, ob sie vorhatten, uns den Weg zu zeigen. Sie haben es! Sie haben uns den Weg gezeigt! Und wir haben ihn gefunden. Wir müssen ihn nur noch einmal finden. Ihr Fehler, unser Glück!“ Avas Worte sprudelten parataktisch aus ihrem Mund und landeten auf dem kahlen Boden. Sie spürte unter ihren Händen, wie Janosch langsam schlapp wurde, wie sein Körper unter dem Gewicht der Überlegungen weicher und leerer wurde. Ava runzelte die Stirn und legte dann doch eine Hand unter sein Kinn, zwang ihn zu ihr zu sehen. Sie konnten Schwäche nicht gebrauchen, egal wie verlockend es war, sich dem hinzugeben. „Du hast gesagt, deine Kamille hat uns geholfen. Wie bringen wir sie dazu, uns da wieder reinzubringen? Wir sind einmal lebend rausgekommen, wir kommen noch einmal lebend raus. Und zwar ganz!“ Ihr Blick war fest und sie fixierte den von Janosch. Ava, die Macherin. Ava, die jahrelang nie durfte, nie gefragt wurde, mit der immer gemacht wurde. Jetzt war sie an der Reihe. Sie wusste, dass sie ihn verunsichern könnte, dass sie mal wieder zu viel war. Aber die Aussicht auf ein Leben außerhalb dieser Mauern brachte sie innerlich zum Schreien. „Janosch, wir werden keine Nummern mehr sein! Dort draußen ist die Welt. Die richtige. Wir könnten uns durchschlagen, wir könnten nach London oder Paris oder Istanbul!“, plapperte sie aufgeregt, dicht vor seinem Gesicht.
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Janosch Ullberg
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BeitragThema: Re: DEAD BITE ;; DIE KAPITEL    DEAD BITE ;; DIE KAPITEL  - Seite 2 EmptyMi Dez 02, 2020 7:19 pm

Jemand anderem zu erklären wer Kamille war oder was sie sein könnte, war ihm noch nie besonders gut gelungen. Vielleicht kannte er einfach nicht die richtigen Worte, um sie zu umschreiben, um sie zu beschreiben. Vielleicht kannte er aber auch die Wahrheit nicht ausreichend, um zu erfassen, wer sie denn nun war. Er konnte nur sehr gut beschreiben, wie sie ihre Zeit gemeinsam verbrachten, wie sie ihm ihre Zeit schenkte und wie sie ihm im Gegenzug dafür seine Zeit stahl. Denn so kam es ihm manchmal vor. Wenn er nicht wirklich wusste was vor sich ging, wie konnte es dann ein anderer verstehen? Immerhin war er es der sie rund um die Uhr bei sich hatte, solange sie wollte. Zumindest war das bisher immer so gewesen. Jetzt konnte er sich nicht mehr sicher sein, ob er sie wiedersehen würde. Und wann. Und wie. Und ob es genauso sein würde, wie es zuvor gewesen war, oder diesmal vielleicht ganz anders. Nur konnte er sich auch nicht vorstellen, wie es anders werden sollte. Kamille war ein Charakter und sie war sehr dominant. Janosch war nicht so dominant. Er war irgendwie verloren. Was also sollte sich ändern? Janosch konnte sich nicht vorstellen jemals nicht verloren zu sein. Und er konnte sich auch nicht vorstellen, dass Kamille sich jemals zurücknehmen würde.
Da war der Tag gewesen, an dem er sie das erste Mal gesehen hatte und noch gar nicht begreifen konnte, dass er sie von da an immer und überall sehen würde, ganz wie es ihr beliebte. Das war so ein unschuldiger Moment gewesen, dass er unwillkürlich ganz leicht lächeln musste. Er hatte nicht begriffen, wie sehr sie ihn und sein Leben ändern würde. Wozu sie ihn treiben würde. Wozu sie ihn verändern würde und auch wozu sie ihn vielleicht benutzen würde. Er hatte sie so hübsch gefunden, so unschuldig und ein ganz kleines bisschen verloren. Sie hatte ausgesehen, wie er sich fühlte: zerbrechlich und allein. Und als sie ihn dann anlächelte, da hatte er ganz automatisch gefragt „Möchtest du mich nicht begleiten? Ich werde zum Fluss gehen!“ und sie hatte genickt und war ihm gefolgt. Und von da an nicht mehr von der Seite gewichen, ob er sie sehen konnte oder nicht. Ob er es sich wünschte oder nicht. Sie war ihm näher geworden als sein eigener Schatten. Zu nah und dann wieder nicht nah genug, da er sich noch immer allein fühlte. Seit er hier war mehr denn je. Nur stimmte das auch jetzt nicht mehr so ganz. Jetzt gab es da einen anderen mit dem ihn etwas verband. Jetzt gab es Ava. Und auch wenn sie ihn nicht vereinnahmte, überwältigte, vereinnahmte, ihm sich seiner selbst beraubte, wovon doch ohnehin nicht mehr viel übrig war... da war sie ihm vielleicht auf eine Art näher, wie Kamille es nie hatte sein könnten.

Aber war sie eine von ihnen?

Vielleicht war ja doch er es gewesen, der Ava und sich beschützt hatte. Vielleicht war es ja der Ausgleich gewesen, selbst zu spüren was er einem anderen einst angetan hatte. Die Nadeln in die Lunge fließen zu spüren, wie sie ihm den Atem und den Verstand raubten. Und vielleicht war es Kamilles Gnade ganz allein gewesen, die ihn nicht dasselbe Schicksal hatte teilen lassen, weil auch sie ihre Schuld an allem trug. An absolut allem. Allem was ihm je angetan wurde. Allem was er je anderen angetan hatte. Wie hatte es bloß soweit kommen können?

„Kamille ist seit sehr langer Zeit bei mir, an meiner Seite, immer. Ich kann nicht beschreiben, was sie ist, aber ich glaube nicht, dass sie direkt eine von ihnen ist.“, meinte er also fast entschuldigend. Er würde ihr erklären, was sie gemeinsam erlebt hatten und wer Kamille für ihn war, aber er hatte das Gefühl, dass dies nicht der richtige Augenblick war. Dass ihnen die Zeit fehlte. Sie wollten herausfinden, wie es weitergehen würde, ob sie einen Plan schmieden konnten. Nicht darüber sprechen, wie wahnsinnig er war. Nicht darüber sprechen was er getan hatte. Womöglich würde sie sich dann auch von ihm abwenden, wie alle anderen auch. Und er spürte, dass er das jetzt nicht verkraften würde. Vielleicht war es also sein Egoismus, der ihn davon abhielt. Aber ausnahmsweise war da keine Kamille, die ihn dafür schelten könnte, die ihn dafür schlagen konnte.

„Das. Ist. Genial.“ Das war ungewohnt. Und er reagierte prompt darauf, dass ihm die Hitze ins Gesicht stieg und sein Herz zu rasen begann. Er wusste gar nicht mehr wie normale Menschen darauf reagierten, dass jemand anderes seinen Vorschlag und seine Idee einfach...gut...fand. Oder überhaupt nachvollziehen konnten. Womöglich verstand Ava ihn vielleicht doch mehr, als er ahnte. Vielleicht könnte sie sogar verstehen, wenn er ihr erzählte wer Kamille war. Doch jetzt war wirklich nicht der richtige Zeitpunkt. Doch je mehr Energie aus ihm zu schwinden schien, vielleicht weil sein Herz viel zu lange viel zu schnell schlug, desto mehr Energie schien sich in Ava zu sammeln. „Wenn der Dead Bite zwischen den Ebenen springen kann, dann konnten wir das auch, irgendwie. Es ist egal, ob sie vorhatten, uns den Weg zu zeigen. Sie haben es! Sie haben uns den Weg gezeigt! Und wir haben ihn gefunden. Wir müssen ihn nur noch einmal finden. Ihr Fehler, unser Glück!“ Glück. Sie sprach von Glück. Langsam wurde er nervös, weil ihn wieder überlagerte wie mächtig ihr Vorhaben war. Wie gewaltig die Auswirkungen sein könnten. Scheu hatte er den Blick senken wollen, noch immer überfordert mit der plötzlichen Nähe, mit der plötzlichen Gewalt in der auch Ava auf ihn wirkte. Kein Mensch hatte je so viel Wirkung auf ihn gehabt. Ihn so mitgerissen und ihn so drängen können, ohne dass er sich ganz klein gefühlt hatte. Nicht einmal seine Eltern hatten ihn derart bewegt. Sie hatten eigentlich immer bloß all seine Ängste und Sorgen gleichermaßen gefühlt und verstärkt und Kamille vielleicht den Raum gegeben, den sie sich längst ausgesucht hatte. Sie legte ihm die Hand unter das Kinn und hob seinen Blick, führte seinen Blick zu ihr. Einen Augenblick hatte er das Bedürfnis sich zu räuspern, etwas zu erwidern, sich irgendwie zu erklären... Aber dann bemerkte er, dass er das nicht brauchte. Ganz gleich ob sie wirklich verstand oder nur akzeptierte, was in ihm vorging, sie tat ihm gut. Und auch wenn dem nicht mehr so war, vielleicht würde er ihr sogar das Recht einräumen ihn zu überrennen. Kamille hatte sich das Recht genommen ihm näher zu sein als sein eigener Schatten. Ava würde er es freiwillig geben. Er verstand es nicht. Er wusste nur, dass er gerade jetzt ganz genauso empfand. Da konnte er ihr auch in die Augen schauen und sich ein bisschen in ihrer Energie verlieren. Versuchen ihren Wunsch zu erfüllen und ganz bei ihren Worten zu sein. „Du hast gesagt, deine Kamille hat uns geholfen. Wie bringen wir sie dazu, uns da wieder reinzubringen? Wir sind einmal lebend rausgekommen, wir kommen noch einmal lebend raus. Und zwar ganz!“, meinte sie entschlossen und ergriff ihn damit völlig. Auf der einen Seite fühlte er sich geohrfeigt, weil er beichten musste, dass Kamille nicht mehr bei ihm war. Auf der anderen Seite war sie so überzeugt von ihren Fähigkeiten, dass er gar nicht anders konnte, als keinen Zweifel zu haben. Jetzt. Trotzdem brach ihm die Stimme, als er die, wie er glaubte, wirklich niederschmetternden Nachrichten überbringen musste. „Ava...Kamille ist...nicht mehr bei mir. Seit wir zurück sind...ist sie fort. Ich weiß nicht ob...freiwillig...oder auf der anderen Seite...“ stammelte er vermeintlich unzusammenhängend und doch zusammenhängender als für Außenstehende zu erkennen. Sie waren auf sich alleine gestellt. Und doch konnte er sich nicht vorstellen, dass Kamille vorgehabt hatte sie auf die andere Seite zu bringen. Also musste sie entweder keine andere Wahl gehabt haben, oder sie selbst hatten ebenfalls etwas dazu beigesteuert...wohin sie steuerten. Fort von allem wo keiner von ihnen beiden bleiben wollte. Wo Janosch doch nur blieb, weil er Angst hatte und allein war. Wo Ava keine Sekunde aushalten wollte. „Wir sind auf uns gestellt...aber ich glaube, wir schaffen es auch so. Ich glaube wir sind auch schuld. Dann müssen wir es auch alleine schaffen. Vielleicht mit dem Wasser...irgendwie...“ Versuchte er sich so verständlich wie möglich zu machen und wurde zunehmend von sich selbst frustriert. Wieso war er nicht einmal in der Lage ein paar Sätze aneinander zu reihen und sich ganz deutlich auszudrücken? Ava hätte keinen schlechteren Partner finden können, um Pläne zu schmieden. Entschuldigend blickte er ihr so entschlossen wie er konnte in die Augen. Er würde für sie über sich hinauswachsen müssen. Denn sie sollte hier herauskommen. Ganz gleich ob er dabei an ihrer Seite sein würde, oder ob er hierbleiben würde. Wenigstens sie sollte die Chance bekommen!
„Janosch, wir werden keine Nummern mehr sein! Dort draußen ist die Welt. Die richtige. Wir könnten uns durchschlagen, wir könnten nach London oder Paris oder Istanbul!“
Sie würde ihn noch umbringen. Er musste es sich vorstellen und ihn überkam eine Wehmut und eine Sehnsucht, die er seit einer unheimlich langen Zeit nicht mehr gefühlt haben musste. Wir. Sie hatte wir gesagt! Und mit einem entschlossenen Kopfnicken, wobei er den Kopf tatsächlich nur ganz leicht bewegte, um ihre Hand nicht von seinem Kinn zu verscheuchen, entflammte in ihm mit all der Energie, die ihm noch blieb, eine gewisse Kampflust. „Versprochen!“, flüsterte er ganz leise. Und dabei versprach er ihr, sowohl sie auf dieser Reise zu begleiten als auch über sich hinaus zu wachsen, um ihr zu helfen, ihr zu ermöglichen ihre Chance wahrzunehmen. Er würde sich den Kopf zerbrechen, bis ihm der richtige Gedanke kam – der, der sie wieder dorthin bringen würde. Er wusste, dass sie vielleicht nicht mehr viel länger hierbleiben konnten. Und doch schätzte er den Moment unheimlich. Und er wollte so schnell wie möglich wieder hier hin. Oder wo auch immer sie sonst so frei miteinander reden konnten. Die einzige Angst, die ihn nun begleiten durfte, wäre die, dass Ava scheiterte. Und die, dass Ava es schaffte und er ein ganz neues Allein kennenlernen würde. Er hob seine Hände zu ihren Seiten, berührte sie aber nicht. Es war wie eine unsichtbare Umarmung, in der er sein Versprechen verstärken wollte. „Wir werden wieder durch das Wasser fallen!“
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Ava Litchmore
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BeitragThema: Re: DEAD BITE ;; DIE KAPITEL    DEAD BITE ;; DIE KAPITEL  - Seite 2 EmptyMi März 24, 2021 9:27 pm

Der Höhenflug hätte nicht größer sein können. Sie hatten so etwas wie einen Plan und sogar eine Komplizin! Zugeben hatte sie diese Komplizin nie gesehen und ihre Therapeuten würden auch alle sagen, dass es sie überhaupt nicht gab, aber ... Ava musterte Janosch vor ihr. Er schien sich sicher zu sein, dass es Kamille gab. Und was wäre sie für eine Irre, wenn sie an eine andere Seite glaubte und den Dead Bite, aber nicht an eine Komplizin, die ihr den Weg zu dieser anderen Seiten zeigen konnte. Ihre Hirngespinste sollten auch ruhig für sie arbeiten, wenn sie schon hier waren und ihr das Leben so schwer machten! Es konnte ja nicht sein, dass sie ihretwegen in dieser Hölle saß und sie im Gegenzug nichts für sie machten! Und was wäre schon, wenn sie wirklich ein Hirngespinst wäre? Kamille. Ihre Retterin. Die Welt. Die Kaninchen. Und auch die Tür. Wenn das alles ein Hirngespinst wäre? Nichts würde sich an Avas Leben ändern, sie war noch immer eine eingesperrte Irre. Aber eine mit einem Ziel, einem Abenteuer. Sie sah grinsend zu Janosch, hielt sein Gesicht in ihrer Hand. Doch gerade als sie ihre Freude über diese Wendung nach außen trug, änderte sich Janoschs Blick. Einen Schritt zurück. Nur im Kopf, aber ein Schritt. Keine Zeit für Freude? Hatte sie doch etwas falsch verstanden? Oft hatte ihr Vater ihr gesagt, dass sie nichts verstand, dass die Welt viel größer als sie war. Und dunkler. Er hatte es ihr auch gezeigt, ihr auf die Haut geschrieben, wie widerlich diese Welt sein konnte. Aber er hatte recht behalten: Sie verstand so unglaublich wenig. Sie legte ihren Kopf schief, behielt noch immer ihre Finger an Janoschs Kinn, damit er ihrem Blick nicht ausweichen konnte. Sie wusste, dass sie Leuten mit ihren Augen Angst machen konnte, deswegen versuchte sie ihren Blick so freundlich wie möglich zu halten, fast sanft. Eigentlich stand in ihrem Ausweis, dass sie braun waren, aber ein sattes Orange traf es eher und Menschen hatten Angst vor Dingen, die nicht das waren, was sie vorzugeben schienen. Und ihr Braun war nun einmal ein Orange. Uncanny Valley, hatte ihre Englischlehrerin immer gesagt. Ava war ein grandioses Beispiel für ein Uncanny Valley. Sie sah menschlich aus, war sogar sehr schön. Nur diese eine Sache, die war anders. Die war so anders, dass sie Menschen Angst machte. So menschlich und doch entfernt erinnerten ihre Augen an tierische Wut, dass Ava oft nur aufsehen musste, um Leuten Angst zu machen. Sie machte sich auf die schlechte Nachricht gefasst, spannte sich an. „Ava...Kamille ist...nicht mehr bei mir. Seit wir zurück sind...ist sie fort. Ich weiß nicht ob...freiwillig...oder auf der anderen Seite...“ Sie brauchte eine Weile, um die Worte zu sortieren. Sie schüttelte langsam den Kopf und blinzelte verwirrt. „Du meinst, sie ist … weg?“, fragte Ava leise und schluckte. Okay, keine Komplizin. Aber genug andere Hirngespinste, die sich nützlich machen könnten. Wenn sich Ava genügend Mühe gab, kamen auch die Schlangen wieder, bestimmt. Sie schüttelte erneut den Kopf, zog die Schultern nach oben und sah zu Janosch. Er wirkte geknickt, als wäre es seine Schuld. Sie strich ihm instinktiv mit dem Daumen über die Wange, während er weitersprach. Seine Worte kitzelten an ihrem Daumen und sie konnte nicht umhin, leicht zu grinsen. Es war schwierig, sich auf mehr als eine Sache zu konzentrieren. "Wir sind auf uns gestellt...aber ich glaube, wir schaffen es auch so. Ich glaube wir sind auch schuld. Dann müssen wir es auch alleine schaffen. Vielleicht mit dem Wasser...irgendwie...“ Sie nickte heftig. Das war es! Sie brauchten überhaupt kein Hirngespinst! Wofür auch, wenn sie sich hatten! „Vielleicht, vielleicht sind wir das auch nicht! Vielleicht finden wir Kamille auf der anderen Seite wieder, wenn sie dort ist. Und dann hilft sie uns von dort! Und wenn nicht, dann haben wir uns! Und wir haben massig Zeit! Oder hast du noch einen Termin?“ Ava wusste nicht, woher es kam, aber ein leises Lachen sprang von ihren Lippen. Diese Nachricht hatte ihrer Energie keinen Abbruch getan. Sie träumte sich bereits eine Zukunft hervor, die nicht weiter hätte sein können. Ein eigenes Leben. Eigene Freiheiten. Eigene Entscheidungen!
Und er stimmte ihr zu! „Versprochen!“ Ihre Augen leuchten auf und ihr Grinsen wurde breiter. Das Glück, das Versprechen brodelte in ihrer Brust und die Energie staute sich in ihren Muskeln, in jeder Faser ihres Körpers brannte sie. Selbst ihre Haut kribbelte, sprühte Funken. Egal wie leise das Versprechen gesprochen wurde, es war eines! „Wir werden wieder durch das Wasser fallen!“ Sie explodierte. Die Energie stieg ihr bis zum Hals, bis sie einfach über ihre Zunge nach oben sprang. „Janosch! Wir schaffen das! Wir werden durch das Wasser fallen!“ Sie warf ihre Arme in die Luft und sich dann selbst gegen Janosch. Sie schlang ihre Arme und seinen Körper und zog sich selbst an ihn heran. „Wir werden hier rauskommen und wir holen deine Kamille! Und dann sind wir frei und können tun, was wir wollen! Mit wem und wann wir wollen!“
Erschrocken fuhr sie zusammen und löste sich aus der Umarmung, gab Janosch den Raum zu atmen. Hatte sie ihn überrumpelt, schon wieder einen Menschen in Angst versetzt? Sie rutschte von Janosch zurück und sah entschuldigend zu ihm auf. „Tut mir leid, ich ... ich habe mich nur so gefreut. Ich ... zu Hause war es nicht besser, nicht wirklich. Ich will hier raus, um endlich …“ Sie schüttelte den Kopf, wollte die Gedanken, die Erinnerungen herausschütteln. Sie hatten hier keinen Platz, nicht jetzt. Sie mussten sich auf ihren Plan konzentrieren. „Heute Nacht. Ich komme vorbei, okay? Wir müssen so schnell wie möglich zurück. Ich hol dich ab und wir gehen in das Becken zurück! Du musst ein Stück Stoff in das Schloss stopfen, dann geht die Tür nicht zu und ich kann dich heute Nacht abholen.“ Es war ein Plan, es war ein nächster Schritt. Wenn er sie überhaupt noch wollte, wenn sie ihn nicht auch erschrocken hatte.
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Janosch Ullberg
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BeitragThema: Re: DEAD BITE ;; DIE KAPITEL    DEAD BITE ;; DIE KAPITEL  - Seite 2 EmptyMi Apr 28, 2021 7:24 pm

Die Frage, auf die er keine Antwort hatte, wiederholte sich immer und immer wieder in seinen Gedanken, sobald die erste Stille eingetreten war. „Du meinst, sie ist weg?“, hatte Ava ihn gefragt. Und wieder und wieder hatte doch auch er selbst sich diese Frage gestellt. Die ganze Nacht, neben all den anderen Dingen die in seinem Kopf schwirrten. Oder gar beim Frühstück, wo Kamille sonst immer regelrecht aufblühte, weil sie zu merken schien, dass der Tag wirklich begann. Nicht, dass es irgendetwas Aufregendes an seinen Tagen oder an den Tagen irgendeines anderen Insassen der Anstalt gab. Noch immer war das aufregendste für ihn die Kunststunden. Doch das stimmte nun ja auch nicht mehr. Alles war aus dem Ruder geraten, als er Ava das erste Mal wirklich gesehen hatte. Und er war sich sehr sicher, dass er diesen Augenblick als den solchen bemerken wollte, dass es in dem Wasserbecken gewesen war. Sie hatten sich im Wasser das erste Mal wirklich gesehen. Und auch Kamille hatte sie im Wasser das erste Mal wirklich gesehen. Aber Ava hatte ihn natürlich erst danach das erste Mal wirklich gesehen. Ihn angesehen. Und sich mit ihm beschäftigen müssen. Stattdessen hatte er selbst ganz intuitiv eine Handlung vorgenommen, die er sich gar nicht zugetraut hätte. Aber das schien Ava ja aus ihm heraus zu kitzeln. Dinge die er sich nicht zutraute.

Und dennoch tat sie es auf eine ganz andere Weise als Kamille das bei ihm tat. Wenn sie es tat. Kamille brachte ihn dazu, sich selbst danach völlig in Frage zu stellen. Wer er eigentlich war und was in ihm schlummerte, wovor er sich noch alles fürchten musste und ob er womöglich selbst eine einzige Gefahr für sich und andere war. Und immerhin dazu hatte man ihn ja auch eingestuft. Vielleicht hatten die Anderen also allesamt recht und er gehörte hier her. Nur war das ja gar keine Frage. Nach allem was passiert war, hatte er von Anfang an eingesehen, dass es so besser war. Kamille war diejenige gewesen, die sich gesträubt, die protestiert hatte und sich wehren wollte, verhandeln wollte. Sie hatte bloß niemanden gefunden, der sie hätte anhören können. Und nun? War Kamille weg? Konnte er damit umgehen?

Genauso gut konnte er sich weiter fragen, was in ihn gefahren war. Seine gefühlte falsche Selbstsicherheit und die Anmaßungen, die er äußerte, zu wissen, dass sie es schaffen könnten... wer von ihnen wiegte sich eigentlich in falscher Sicherheit und wer hatte all die Zeit lang recht gehabt? Kamille? Ava? Er selbst? Nun. Wenn Kamille noch da war, dann hätte sie ihm wenigstens hier eine eindeutige Antwort geben können, an der er sich langhangeln konnte. Und diese Antwort kannte er sogar ganz instinktiv, ohne ihr Wort in seinem Ohr: Kamille hatte recht. Denn Kamille hatte niemals recht. Und ganz sicher hatte Janosch niemals recht. Immerhin war er ja dumm. Und unfähig. Wieso also, wollte er sich selbst und Ava weiß machen, dass er nicht so unfähig war, wie er sich fühlte?

„Vielleicht, vielleicht sind wir das auch nicht! Vielleicht finden wir Kamille auf der anderen Seite wieder, wenn sie dort ist. Und dann hilft sie und vorn dort! Und wenn nicht, dann haben wir uns! Und wir haben massig Zeit! Oder hast du noch einen Termin?“, fragte Ava ihn wieder und begann sogar zu leuchten, zu lächeln und zu lachen. Als ob er Termine hätte. Ohne Kamille hatte er nichts. Er hatte ja nicht einmal sich selbst. Aber vielleicht hatte er jetzt einen Ansporn und das wäre nicht mehr nichts. Er hatte ein Versprechen gegeben und Ava vielleicht eine Hoffnung geschenkt, oder einen Zusammenhalt, den diese Anstalt einem normalerweise nicht vergönnte. Er würde also besser alles dafür tun, zu seinem anmaßenden Versprechen zu stehen. „Wir werden rauskommen und dann holen wir deine Kamille! Und dann sind wir frei und können tun, was wir wollen! Mit wem und wann wir wollen!“, meinte Ava in einer fast heroischen Ansprache, ehe sie mit einem Mal ganz von ihm wich und eine plötzliche Leere und Kälte zurückließ, an die er sich eigentlich gewöhnt haben müsste, nun aber gerade zu danach zehrte die Nähe noch einmal zu spüren. Nur würde er sicher ganz sicher nicht den Schritt dorthin wagen. Und doch hoffte er verzweifelt, dass sie ihn in ihre Pläne einschloss. Auch wenn er es selbst nicht tat. Sie hatte offensichtlich auch noch nicht ganz verstanden, was er mit seinen, auch nicht ausgesprochenen Worten, hatte versucht zu erklären, wo er es doch selbst nicht verstand. Sie verstand Kamille nicht und was sie für ihn bedeutete. Und das war okay, auch wenn es ihn einen kurzen Moment verletzte. Kamille würde sich nicht finden lassen und holen lassen. Entweder fand sie einen und holte einen, oder sie tat es nicht. Aber das war vielleicht auch ziemlich abstrakt, wo außer ihm diese zierliche und unschuldige Version von Kamille, die sich äußerlich darstellte, ja auch keiner sah. Etwas nicht Vorhandenes, hatte seine Tücken, wenn man es einordnen wollte. Nur war Kamille für ihn die längste Zeit seines Lebens vorhanden gewesen. Doch offensichtlich hatte man ihn erneut missverstanden. Sie hatte wohl gedacht, Janosch wäre unglücklich über ihre Nähe gewesen, oder ihre Euphorie, oder ihre Pläne... Jedenfalls entschuldigte sie sich und ließ nun ebenfalls Dinge ungesagt. Nur war Janosch nicht in der Lage zu vervollständigen, wo ihr Satz unterbrochen wurde.

Womit er allerdings wieder etwas anfangen konnte, waren klare Angaben. „Heute Nacht. Ich komme vorbei, okay? Wir müssen so schnell wie möglich zurück. Ich hol dich ab und wir gehen in das Becken zurück! Du musst ein Stück Stoff in das Schloss stopfen, dann geht die Tür nicht zu und ich kann dich heute Nacht abholen!“, gab sie ihm deutlich und in Häppchen aufgeteilte Anweisungen zu verstehen. Damit konnte er arbeiten. Das Stück Stoff musste wohl von etwas kommen, dass er am Leib trug... doch darüber konnte er sich noch den ganzen Rückweg lang seine Gedanken machen. Völlig automatisch war seine Antwort, die dürftige Beschreibung, die er Ava auch kürzlich mitgegeben hatte. „Links, links, drei Stufen, links und dann das Siebte rechts. Vier – Null – Sechs. Vierhundertsechs. Vier – Null – Sechs.“ Aber egal ob seine Worte hilfreich waren, er hatte ein Urvertrauen wie schon lange nicht mehr, darin, dass sie ihn finden würde. Er nickte noch einmal ernst und blickte dann zur Türe. Das war wohl der Moment, an dem sie sich voneinander verabschieden mussten und darauf vertrauen mussten, dass der jeweils andere den Plan ausüben würde und es ihm gelang. Und zu vertrauen war etwas, dass in diesem Ort niemand mehr leichtfertig tat. Er konnte also nur hoffen, dass Ava bereit war, in ihn zu vertrauen.

„Ich vertraue dir. Ich habe dir ein Versprechen gegeben.“, waren seine Worte zum Abschied. Ein wirklicher Abschied wollte ihm nicht über die Lippen kommen, ehe er sich abwandte und von der Klinke losließ. Er hoffte sie hätte ihn noch gehört. Immerhin war er geradezu darauf bedacht von nun an wieder übersehen, überhört, übergangen zu werden. Sein Blick wieder auf die Flurfliesen gerichtet. Beinahe etwas stur.
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